Versteckte Botschaft

Ich schwöre, vor einem Jahr waren die noch nicht da!

Vor unserem Haus wachsen Tulpen.

Ja, das ist jetzt auf den ersten Blick nicht soo verwunderlich, ich weiß. Aber wenn man die Geschichte dazu kennt, dann irgendwie doch.

Vor etwas mehr als 16 Jahren, als wir in unser Häuschen zogen, schaute ich eines Morgens aus dem Fenster und entdeckte meinen Schwiegervater im Vorgarten. Er kniete auf dem Boden und wühlte in der Erde. Mit der Präzision eines Metallbauers setzte er nach einem sehr symmetrischen Plan und einem ausgeklügelten Farbkonzept Blumenzwiebeln. Es sollte eine Überraschung für mich sein. Eine Freude für unsere kleine Familie. Denn unser Garten sah bis dato so aus, wie Gärten von frisch sanierten alten Einfamilienhäusern eben aussehen – nach einer Mischung aus Urwald und Mondlandschaft.

Sein Konzept ging auf und im folgenden Frühjahr erblühten Tulpen und Narzissen in allen Farben. Die Nachbarschaft beneidete uns und ich musste immer wieder lächeln, weil die Symmetrie meinem Schwiegervater so entsprach.

Im Laufe der Zeit sprossen aber aus den Blumenziwebeln nur noch ganz vereinzelt Tulpen und Narzissen. Als mein Schwiegervater vor einigen Jahren starb, waren es vielleicht noch vier oder fünf Blumen pro Frühjahr.

Nun hatten wir 2020 einen weiteren Umbau. Die Fassade und das Dach wurden neu gemacht, der Kran, das Gerüst und die Pflasterarbeiten vernichteten unseren Vorgarten gründlich. Alles nur noch ein Haufen steinige Erde. Wir pflanzten im vergangenen Frühjahr eine Blumenwiese drauf. Das war unüberlegt – aber das ist eine andere Geschichte. Tulpen sah ich zu der Zeit keine einzige mehr.

Bis vor einigen Wochen. Auf einem sehr unsymmetrischen Fleckchen wachsen derzeit wild ein paar weiße und rote Tulpen. Keine Ahnung, wie das herging. Botaniker hätten vielleicht eine Antwort. Aber ich leite mir das lieber anders her:

Ich möchte gerne daran glauben, dass Menschen, die uns in ihrem Leben mit Liebe betrachtet haben, das auch nach ihrem Tod tun. Manchmal höre ich ein Lied und bilde mir ein, dass meine Schwester mir das geschickt hat – genau zum richtigen Zeitpunkt. Und mit diesen Blumen… mir ist, als hätte sie mir mein Schwiegervater geschickt. Um mir etwas zu sagen. Keine Ahnung was. Es kann nichts mit Ostern zu tun haben. Mein Schwiegervater war vieles – aber auf gar keinen Fall religiös.

Aber vielleicht schickt er mir Hoffnung. Ein bisschen Zuversicht zum dritten Ostern in Pandemiezeiten, in einer kriegerischen Welt am Rande des Abgrunds.

Ich weiß – da ist viel Platz für Interpretationen. Aber lasst mir meine. Oder teilt sie mit mir. Was anderes ist nicht drin. Nichts anderes als Hoffnung. Und nichts geringeres.