Die Krise

Nein, es geht nicht um Gas, nicht um Geld und nicht um Politik. Es geht um ein seltsames Gefühl, das mit Midlife-Crisis beschrieben werden könnte, es aber auf keinen Fall wird, weil das ja hieße man wäre alt und schwach und lächerlich.

Ich bin nicht alt und schwach und vielleicht höchstens ab und zu mal lächerlich. Und trotzdem… ich glaub‘ ich hab die Krise.

Ausgelöst durch den Umstand, dass mein großes Kind mit dem Abitur fertig ist – just in dem Jahr in dem mein Abiturjahrgang sich zum 25.Jubiläum trifft. Für beide Ereignisse brauchte es Vorbereitungen. Wie ich feststellen musste, Vorbereitungen, die sich ähneln. Da ging es um Abistreiche, Abifeiern, Abizeitungen – immer verglichen und abgeglichen mit meinen Erinnerungen. Jeder zweite Satz zu meinem Kind begann mit „also wir hatten ja damals…“, abschließend garniert mit einer Anekdote von vor 25 Jahren. Dass das kein Spaß ist, weiß ich selbst. Denn innerlich kann ich über mein Verhalten nur den Kopf schütteln. Warum mache ich das? Was soll das? Ich klinge wie in der Midlife-Crisis! Bäm, da ist es, das schlimme Wort.

Ein Wort, das auch bei meinem Klassentreffen am vergangenen Wochenende niemand in den Mund nehmen wollte. Wir doch nicht. Wir aber mal wirklich nicht. Wir sind jung und dynamisch und… begannen aber trotzdem jeden zweiten Satz mit „Weißt du noch?“

Ich hatte mir eigentlich vorgenommen, meine ehemaligen Mitschüler*innen zum Thema „Midlife-Crisis“ auszuquetschen – aber ehrlich, ich hab’s vor lauter Spaß total vergessen. (Ehrlich, es war mir wiedermal ein Fest, Leute!)

„Ist es nicht erstaunlich, dass ich mich nicht an den Titel des Buchs erinnern kann, das ich gerade lese – aber die Theatertexte aus der 12. Klasse noch fehlerfrei herunterzitieren kann?“ – hörte ich mich meine ehemaligen Klassenkamerad*innen fragen. „In dieser Zeit, in diesem Alter wirst du halt geprägt“, kam die Antwort.

Na gut, es gibt auch einige Dinge, an die ich mich lieber nicht erinnern will. Denn eigentlich war mir in dieser Zeit so ziemlich alles peinlich. Also alles. Ich war jung und ignorant und lächerlich. Und – ich hatte die Krise. Das zumindest geht aus dem Artikel hervor, der über mich in meiner alten Abizeitung steht. (Vielen Dank auch, Grasi!)

Kuck an. Hat sich nicht so viel verändert – und doch alles.

Aber was ich eigentlich sagen will:

Damals – vor 25 Jahren, als Chrisu-die-Krise, jung, ignorant, lächerlich – hatte ich eine wirklich gute Zeit.

Warum sollte das jetzt – als Christine-die-Midlife-Crisis, (gar nicht mal so) alt, (gar nicht mal so) schwach, (vielleicht ab und zu) lächerlich – nicht auch so sein?

Was ist, wenn wir uns diese Zeiten in unserem Leben, in denen sich vieles verändert, nur immer schlecht reden, weil wir Angst vor der Lächerlichkeit haben – es aber genau diese schrägen Momente sind, an die wir uns später gerne erinnern? Ich will das mal so sehen wollen.

Denn dann hab ich sie jetzt eben – die Krise! Mit allem, was dazugehört. Yoga, VHS-Kurse und Selbstfindung beim Töpfern. Halt nein, das ist ja mein Beruf…

Viele Reden, kurzer Sinn

Eine Schulaula, voll besetzt. Technische Probleme mit dem Mikrofon. Hektisches Fotografieren der Eltern – entgegen aller vorheringen Hinweise, das bitte zu unterlassen. Grußworte. Reden. Zeugnisübergabe. Applaus.

Darauf lassen sich die meisten Schulabschlussfeiern herunterbrechen, denke ich. Und es sind überwiegend auch eher langweilige Veranstaltungen. Doch das fällt zum Glück nicht auf, weil die Gäste so aufgeregt sind, dass es eh wurscht ist. Der Sohn, die Tochter, man selbst hat das Abitur (die Mittlere Reife, den Quali, wasauchimmer) geschafft! Der Rest ist Nebensache. Und so erwartet man sich auch nicht recht viel von den Grußworten und den Festreden.

Eine kleine Auswahl aus der Abiturientenverabschiedung meines Kindes:

„Sie sind die Elite Deutschlands“

„Jetzt beginnt eine aufregende Zeit.“

„Schön war’s.“

„Freunde gefunden… gelernt… gelacht… sich auch mal geärgert… aber trotzdem…“

„Bildung ist nicht gleich Wissen.“ (anscheinend das neue „nicht für die Schule lernen wir…“)

„Vielen Dank an alle, die uns auf unserem Weg begleitet haben.“

„Besuchen Sie Ihre alte Schule vielleicht mal wieder. Wir würden uns freuen.“

„Feiern S‘ g’scheit!“

Und dann mittendrin zwei Formulierungen aus zwei unterschiedlichen Reden, die trotz der ganzen Stolzhormone zu mir durchgedrungen sind:

Die erste (sinngemäß): „Und denken Sie dran, Sie müssen nicht studieren. Ziehen Sie ruhig auch einen handwerklichen Beruf in Betracht.“

Die zweite: „The Road Not Taken von Robert Frost ist eines der wohl am häufigsten fehlinterpretierten Gedichte.“ Konkret ging es um diesen letzten Absatz:

(von http://www.poetryfoundation.org
Übersetzt von Paul Celan:
Dies alles sage ich, mit einem Ach darin, dereinst
und irgendwo nach Jahr und Jahr und Jahr:
Im Wald, da war ein Weg, der Weg lief auseinander,
und ich – ich schlug den einen ein, den weniger begangnen,
und dieses war der ganze Unterschied.

von denkzeiten.com)

Der wohl häufig so interpretiert wird, dass der weniger ausgetretene Weg, der bessere sei und… blabla… dingenskirchen… stimmt das wohl nicht.

In meinem Kopf vermischen sich diese beiden Formulierungen und nerven mich mit der Frage, welche Wege ich in meinem Leben genommen habe und welche ich meinen Kindern empfehlen würde.

Als unstudierte Handwerkerin mit durchaus gutem Abitur würde ich aus meiner Erfahrung heraus meinem Kind raten: NEIN! Zieh erstmal keinen handwerklichen Beruf in Betracht. Wenn du kannst, studiere! Studiere was auch immer. Aber studiere. Ich weiß, das ist eine ziemlich unpopuläre Einstellung und klingt nach Eislaufmutti mit unverwirklichten Träumen. Ja, stimmt schon irgendwie. Tatsache ist aber: Ich habe mich nach dem Abitur für einen handwerklichen Beruf entschieden (den ich wirklich wirklich mag! Ehrlich!) und habe den Weg betreten „that has made all the difference“. Einen Weg zurück zum Studium gab es nicht mehr. Und das hat mich in meinen beruflichen Ambitionen schon so oft ausgebremst, dass ich es gar nicht mehr zählen kann.

So kann man zum Beispiel als ausgebildete Rundfunkredakteurin beim Bayrischen Rundfunk nur einen Redakteurs-Job ergattern, wenn man studiert hat. Egal was! Wirklich und ehrlich wahr: EGAL WAS! (Und um einem das zu sagen, lassen sie einen extra in München antanzen)

So kann man als Quereinsteigerin an einer staatlichen Schule nur unterrichten, wenn man studiert hat. Nicht unbedingt Pädagogik, aber halt was anderes.

So bringt einem die Zusatzausbildung zur Theaterpädagogin nur wirklich was, wenn man schon mal ein paar Semester (vorzugsweise) Pädagogik studiert hat.

Und das ist nur ein kleiner Teil meiner Erfahrungen. Und die möchte ich meinem Kind ersparen. Deshalb: Wenn du kannst, Kind, studiere. Uns wenn’s dir keinen Spaß macht, kannst du immer noch töpfern.

Wobei auch dafür eine Stelle im Gedicht steht:

(von Paul Celan übersetzt mit:
Doch wissend, wie’s mit Wegen ist, wie Weg zu Weg führt,
erschien mir zweifelhaft, daß ich je wiederkommen würde.

von denkzeiten.com)

Will sagen (wenn ich es nicht falsch interpretiere): So einfach ist das nicht, mit den Entscheidungen. Denn sind sie mal getroffen, gibt es kein Zurück.

So ist das eben im Leben und das ist die meiste Zeit auch ganz okay so. Aber es fällt uns besonders in den Momenten auf, in denen wir andere Menschen sehen, die alle diese Entscheidungen noch vor sich haben. Bei Schulabschlussfeiern zum Beispiel. In vollen Schulaulen, mit quietschenden Rückkopplungen und gezückten Handykameras liegen sie in der Luft – diese Möglichkeiten!

Alles sauber

Vor Kurzem hatte ich einen kleinen Ausflipper auf facebook.

Ich hatte das Gefühl, die Hausarbeit wächst mir über den Kopf, die Termine sind zu viel und sowieso bin ich total überfordert – mit allem.

„Schreib dir doch einen Essensplan“, kam der Ratschlag. Ein guter Ratschlag. Sofort habe ich mich hingesetzt und geplant. Denn das mache ich mittlerweile in vielen Bereichen. In der Werkstatt (was töpfere ich heute?), in der Schule (was töpfern die Kinder heute?), in Sachen Fitness (wie hoch hüpfe ich heute?), sogar was den Haushalt angeht hab ich mir die Hilfe einer Instagramseite namens „ordnungnebenbei“ geholt. Letztere schreibt mir einen Wochenplan mit Aufgaben wie: „Lichtschalter putzen“ oder „eine Badschublade ausmisten“ oder „Winterkleidung verräumen“. Eine super Sache ist das mit diesen Plänen. Endlich sind die kaputten, rosaroten Haarklammern von vor 12 Jahren da, wo sie hingehören – im Mülleimer.

Und so zerteile ich meine Tage in dafür vorgesehene, supereffektive Zeiteinheiten. 20 Minuten hier putzen, 45 Minuten da einkaufen, eine halbe Stunde im Garten, 40 Minuten Sport, 45 Minuten Mittagspause, 60 Minuten Internet (haha, das ist gelogen!), mittwochs bügeln, freitags fernsehen. Das macht unser Haus sauber(er zumindest), den Garten passierbar und meinen Körper definiert.

Wenn dann noch Zeit übrig ist, dann – so der Plan – mache ich das, was ich am besten kann. Würde ich diese Zeit in den Terminplaner eintragen, stünde da „kreativ sein“. Und, was soll ich sagen, das funktioniert ja mal GAR NICHT.

Denn während ich versuche, meine alltägliche Überforderung mit Plänen in den Griff zu kriegen, lässt sich meine kreative, gedankliche Überforderung überhaupt nicht ordnen. Im Gegenteil. Je mehr ich meinen Alltag strukturiere, desto wütender wird das Chaos in meinem Kopf. Ich will alles machen und alles gleichzeitig und alles sofort. Ich will schreiben und töpfern und – oh bitte – Theater spielen! Malen vielleicht noch. Linolschnitt sowieso.

„Und dann auch mal nichts tun und vor sich hinschauen“, soll Astrid Lindgren gesagt haben. Das auch noch. Wann soll ich das denn noch machen? Vor dem Lichtschalter putzen oder danach?

Ich male mir Mindmaps – denn es ist ja nicht so, als würde ich die Kniffe nicht kennen.

Aber auch das bringt keine Zeile aufs Papier und kein Dekor auf meine Keramik. Und so mache ich weiter das, was ich schon immer gemacht habe. Ich wurschtle. Ich wurschtle mich durch. Aber wenigstens mit sauberen Lichtschaltern.

Große Gefühle gesucht

„Das mit dem Glauben ist so eine Sache, manchmal packt einen Ostern an, manchmal nicht.“

Das schrieb Astrid vergangenes Ostern in meine Kommentare. Ich habe mir die Reaktionen auf meinen Blogeintrag „Instant Ostergefühl“ nochmal durchgelesen, weil ich auf der Suche bin. Auf der Suche nach Ostern. Wieder einmal.

Astrids Satz entlockte mir ein geseufztes: „Nein, auch heuer packt es mich nicht an.“

Und gleich darauf ein: „Stimmt doch gar nicht.“

Es packt mich doch an. Weil ich merke, wie ich um mein Ostergefühl kämpfen muss. Wie schwierig es ist, Ostern zu feiern. Wie kann ich an einem Tisch sitzen und (immer noch veganen) Osterzopf essen, dem selbstgebackenen Osterlamm den Hintern abschneiden, die Worte des Papstes aus dem Fernseher scheppern hören, wenn ich gleichzeitig weiß, dass das niemandem in meinem nahen Umfeld etwas bedeutet? Nichtmal mir? Es ist nur Hefeteig, lammförmiger Kuchen und ein alter Mann in einem Kleid. Die Bibel: Nur ein Märchenbuch.

Ob es mich heuer in einen Gottesdienst zieht? Eher nicht. Zuviel Aufwand und dann auch immer noch Pandemie und Krieg, die Kirche im allgemeinen und alles andere auch. Kann sein, dass ich einfach zu faul bin. Ich will nicht um mein Ostergefühl ringen müssen. Ich will, dass es einfach ist. Ich sehne mich nach Einfachheit und Neuanfang.
Und meine Sehnsucht treibt mich in eine Kirche. Einfachheit. Hier muss sie sein. Wenn ich unter den Augen des Gekreuzigten keine Ostergefühle entwickle, wann und wo dann?

Kreuzwegstation zwölf in der Pfarrkirche Sankt Jakobus Kelheimwinzer


„Ostern ist nicht immer gleich der tolle Neubeginn, oft schneits mehr als an Weihnachten, die Passion ist gerade erst zwei Tage her, das muss man erst mal verdauen, da kann man sich nicht gleich losfreuen. Zumal, wenn es vielleicht gar nichts zum Freuen gibt“, schreibt Astrid weiter.

Vielleicht erwarte ich mir einfach zu viel von Ostern. Aber andererseits: Das wichtigste Fest einer Weltreligion, einer Weltreligion deren Teil ich bin – das ist doch eine große Nummer. Die kann ich doch nicht einfach so runterschrauben. Ich will nicht die Nummer kleiner! Ich will die ganz große Nummer. Und Weltfrieden, verdammt!

Heuer gibt es wohl beides nicht. Aber ich kann um beides kämpfen. Um Ostern und Frieden.

Und dann entdeckte ich das hier – auf meiner Suche nach Ostern, in einer Kirchenbank unter den Augen von Station zwölf des Kreuzwegs. In einem Gotteslob:

Na dann,

Let love rule

und irgendwie frohe Ostern.

Versteckte Botschaft

Ich schwöre, vor einem Jahr waren die noch nicht da!

Vor unserem Haus wachsen Tulpen.

Ja, das ist jetzt auf den ersten Blick nicht soo verwunderlich, ich weiß. Aber wenn man die Geschichte dazu kennt, dann irgendwie doch.

Vor etwas mehr als 16 Jahren, als wir in unser Häuschen zogen, schaute ich eines Morgens aus dem Fenster und entdeckte meinen Schwiegervater im Vorgarten. Er kniete auf dem Boden und wühlte in der Erde. Mit der Präzision eines Metallbauers setzte er nach einem sehr symmetrischen Plan und einem ausgeklügelten Farbkonzept Blumenzwiebeln. Es sollte eine Überraschung für mich sein. Eine Freude für unsere kleine Familie. Denn unser Garten sah bis dato so aus, wie Gärten von frisch sanierten alten Einfamilienhäusern eben aussehen – nach einer Mischung aus Urwald und Mondlandschaft.

Sein Konzept ging auf und im folgenden Frühjahr erblühten Tulpen und Narzissen in allen Farben. Die Nachbarschaft beneidete uns und ich musste immer wieder lächeln, weil die Symmetrie meinem Schwiegervater so entsprach.

Im Laufe der Zeit sprossen aber aus den Blumenziwebeln nur noch ganz vereinzelt Tulpen und Narzissen. Als mein Schwiegervater vor einigen Jahren starb, waren es vielleicht noch vier oder fünf Blumen pro Frühjahr.

Nun hatten wir 2020 einen weiteren Umbau. Die Fassade und das Dach wurden neu gemacht, der Kran, das Gerüst und die Pflasterarbeiten vernichteten unseren Vorgarten gründlich. Alles nur noch ein Haufen steinige Erde. Wir pflanzten im vergangenen Frühjahr eine Blumenwiese drauf. Das war unüberlegt – aber das ist eine andere Geschichte. Tulpen sah ich zu der Zeit keine einzige mehr.

Bis vor einigen Wochen. Auf einem sehr unsymmetrischen Fleckchen wachsen derzeit wild ein paar weiße und rote Tulpen. Keine Ahnung, wie das herging. Botaniker hätten vielleicht eine Antwort. Aber ich leite mir das lieber anders her:

Ich möchte gerne daran glauben, dass Menschen, die uns in ihrem Leben mit Liebe betrachtet haben, das auch nach ihrem Tod tun. Manchmal höre ich ein Lied und bilde mir ein, dass meine Schwester mir das geschickt hat – genau zum richtigen Zeitpunkt. Und mit diesen Blumen… mir ist, als hätte sie mir mein Schwiegervater geschickt. Um mir etwas zu sagen. Keine Ahnung was. Es kann nichts mit Ostern zu tun haben. Mein Schwiegervater war vieles – aber auf gar keinen Fall religiös.

Aber vielleicht schickt er mir Hoffnung. Ein bisschen Zuversicht zum dritten Ostern in Pandemiezeiten, in einer kriegerischen Welt am Rande des Abgrunds.

Ich weiß – da ist viel Platz für Interpretationen. Aber lasst mir meine. Oder teilt sie mit mir. Was anderes ist nicht drin. Nichts anderes als Hoffnung. Und nichts geringeres.

Weltschmerz an Linsen

Da stehe ich also im Biomarkt vor dem Regal mit den Hülsenfrüchten und freue mich. Endlich! Endlich gibt’s Linsen im Mehrweg-Pfandglas. Jahrelang bin ich meinem Umfeld in den Ohren gelegen mit der Idee, einfach für ALLE Lebensmittel statt Plastikverpackungen, Mehrweg-Pfandgläser zu nehmen. Anscheinend hatte da jemand (in meine Fall diese Leute hier) die gleiche Idee und statt sein Umfeld damit vollzunölen, setzte dieser jemand das zu meinem Glück auch um.

Ich will schon zugreifen, da fällt mein Blick auf den Preis. Moment, waren Linsen schon immer so teuer? Also das ist schon happig – selbst ohne Pfand. Die in Plastik nebendran sind deutlich günstiger – obwohl ebenfalls Bio.

Und dann – unvermittelt – packt mich ein riesiger Weltschmerz im Genick und beugt sich zu mir herunter. „Wir werden das nie schaffen“, raunt er in mein Ohr und fügt hinzu: „Es wird alles den Bach runter gehen.“

Klar: Erst die Pandemie, dann die Inflation, jetzt auch noch Krieg. Das sind ja gleich 3 Dinge auf einmal… nein, vier! Denn die Klimakrise hat sich nicht in Luftsauerstoff aufgelöst. Sie ist noch da und geht nicht weg. Und wir waren schonmal weiter. Ja, dachte ich mir noch vor 2 Jahren, Umwelt- und Klimaschutz kostet. Kein Umweltschutz kostet mehr. Also griff ich auch mal beherzt zu überteuerten Unverpacktprodukten und klugscheißerte herum, dass Benzin ja viel zu günstig sei. Erdgas hatte ich ehrlicherweise nicht so auf dem Schirm. Da müssen wir raus, wusste ich. Aber wie? Egal. Koste es, was es wolle.

Jetzt zögere ich, nach den teuren Linsen zu greifen. „Die Inflation wird dir all dein Geld nehmen“, flüstert der Weltschmerz. „Dann ist es wohl besser, ich hau jetzt gleich alles auf den Kopf“, antworte ich. Aber es klingt zynisch.

In der Ukraine sitzen Menschen in Kellern, ohne Strom und Wasser – alles was sie haben ist Angst. Diese Menschen standen vielleicht vor ein paar Monaten auch vor einem Regal mit Linsen und griffen zu, ohne auf den Preis zu achten. Im Glauben, dass ihre Welt für immer so bleibt, wie sie ist. Jetzt ist ihre Welt ganz anders. Zerstört. Und bei uns? Wir hamstern Mehl und Salatöl und (warum, verd…. nochmal, warum auch immer) wieder Klopapier. Hauptsache in der Krise nen sauberen Arsch, oder so.

„Plastik kann man schließlich gut recyclen“, lüge ich mir in die Tasche und greife nach den günstigeren Linsen. „Spare in der Zeit, dann hast du in der Not“, ergänze ich und klinge wie meine Oma, die im Gegensatz zu mir sehrwohl wusste, was Not ist. Aber ich weiß nicht, welche Not kommen wird. Oder ich ahne es und kann mir aber nicht vorstellen, wie es wirklich sein könnte.

Am Abend desselben Tages buche ich übrigens eine langersehnte Urlaubsreise.

Ja, mit dem Flieger. Ja, trotz Pandemie. Trotz Inflation. Trotz Krieg, Trotz Klimakrise.

Und nein, ich habe nicht ausgerechnet, wieviel Linsen im Pfandglas ich dafür kaufen könnte.

Mein Weltschmerz rollt sich vor Lachen auf dem Boden. „Es wird alles den Bach runter gehen“, murmle ich und koche Linsen.

Wunderwuzzi

Drei Stunden am Stück nur über mich selbst reden? Jeder, der mich kennt, weiß, dass das keine Herausforderung für mich ist. Eva Honold weiß das jetzt auch (ich hoffe, die Ohren haben wieder aufgehört zu bluten).

Eva ist Künstlerin. Wortkünstlerin. Und sie organisiert den Kelheimer Teil der Veranstaltungsreihe „Regensburg+Tel Aviv+ Kelheim liest ein Buch“. Die hat diese Woche begonnen und ich bin mit gleich zwei Projekten dabei: Einem Töpferworkshop und einem kurzen Theaterstück. Deshalb hat Eva mich interviewt. Wie ich wurde, was ich bin. Also zu jemandem, der töpfert und zu jemandem, der Theaterstücke schreibt – und den ganzen Kram rundrum.

Mach ich mit links, dachte ich. Und wie gesagt, reden ist jetzt nicht so mein Probem. Strukturiert reden schon eher (das wird sicher nicht leicht im Schnitt). Aber stellt euch mal vor, da sitzt eine Interviewerin, die mit jeder Frage, die sie stellt, den Eindruck vermittelt (und zwar glaubhaft!), dass sie sich wirklich wirklich interessiert. Auch noch für die zweimillionste Geschichte aus den Theaterkisten (liebe Vereinskollegen, ich hab euch alle reingeritten – Spaß). Ich schwöre, JEDE*R von euch würde anfangen zu reden, wenn er/sie das Gefühl hat, dass man ihm/ihr wirklich zuhört. Das kann sie echt gut, die Eva (und für alle, die da jetzt einen potenziell gemeinen Unterton raus- oder reinlesen wollen: Lasst es! Das meine ich so, wie ich es geschrieben habe!)

Das Schöne an so einem Interview ist – neben der schmeichelhaften Aufmerksamkeit natürlich – dass man gezwungen ist, sich ein wenig Gedanken zu sich selbst zu machen. Besonders bei so einem Thema. Und vor allem, wenn man eine Aufgabe gestellt bekommt. „Magst du morgen 5 Dinge mitbringen, die dir viel bedeuten bzw. einen Wendepunkt oder Meilenstein in deinem Leben symbolisieren?“, schrieb sie mir. Uff. Okay. Das ist ja mal ne kurze Zeitspanne. Mitgebracht habe ich schließlich mein Notizheft, das Programmheft von „Kartoffelkathi“, den Film „Romeo und Julia“ und eine „Rage against the machine“-CD. Ein getöpfertes Schiff aus meinem Laden komplettierte die 5.

Was es damit aufsich hat, das könnt ihr in Evas Podcast hören. Mir hat dieses Interview gezeigt, dass ich mich ganz anders wahrnehme, als das andere tun. Ich denk mir: Ich leb halt so. Und wenn mir eine Gelegenheit/ eine Idee/ eine Aufgabe vor die Füße fällt, dann nehm ich die. Eva bezeichnete mich als „Tausendsassa“, als Macherin. Und weil ich so komisch geschaut habe, hat sie das österreichische Wort dafür angefügt: „Wunderwuzzi“. Ich liebe es. Ich liebe Sprache. Ein Thema, über das ich noch stundenlang…

Aber halt! Erst die gleiche Aufgabe an euch: Nennt mir 5 Dinge, die euch wichtig sind.

Differenzierter Mist

„Ich kann es nicht glauben, dass wir wieder wegen der gleichen Scheiße auf die Straße gehen müssen!“

Die Frau, die das gesagt hat, wird kommende Woche 70. Ich kenne sie erst ein paar Jahre näher und muss sagen: Ja, sie ist wirklich schon viel auf die Straße gegangen. Gegen Atomkraft, für Umweltschutz, gegen Rassismus, für Klimaschutz, gegen Abschiebungen, für Abrüstung, gegen Krieg, für Frieden und so weiter und so weiter. Ab und zu bin ich mitgegangen. So wie heute. Da standen wir gemeinsam mit vielen anderen. Sie mit ihrem Schild, das sagte „Stoppt den Krieg in der Ukraine“, ich mit dem Bedürfnis unter Menschen zu sein, die die Lage in der Ukraine ähnlich sehen, wie ich.

Denn wie ich die Lage sehe, wurde in den vergangenen Tagen erschüttert. „Informier dich doch mal richtig“, wurde mir geschrieben, als ich den Aufruf zu oben beschriebener Mahnwache in den sozialen Medien geteilt habe. „Weißt du, wie es wirklich war, die letzten 8 Jahre in der Ostukraine?“ Nein, das weiß ich nicht. „Denkst du, dass die NATO keinen Dreck am Stecken hat?“ Nein, das denke ich nicht. „Warum kümmert dich jetzt ein Krieg in der Ukraine?“ Weil… „Warum kümmerst du dich nicht um die Konflikte anderswo?“ Ja, weil, das ist… „Warum sind dir die Leute in Syrien oder Afghanistan egal?“ Moment, das sind sie doch gar nicht… „Kann es daran liegen, dass diese Menschen dunkelhäutig sind und du dich deswegen nicht scherst?“ OB DU VIELLEICHT DEINE KLAPPE HALTEN KANNST, FRAGE ICH?

Tatsache ist, dass ich mich für eine Teilnahme an einer Mahnwache nicht rechtfertigen muss. Und wenn doch, dann ist das meine Antwort: Ich sehe Herrn Putins Reden. Höre seine (übersetzten) Worte. Und sofern das nicht ein Deepfake* ist, habe ich alles, was ich wissen muss. Russische Soldaten befinden sich auf dem Boden eines anderen souveränen Staats und führen dort Krieg. Das bestreitet er nicht. Und er droht anderen Ländern mit nie dagewesenen Konsequenzen (und das kann in den Augen vieler Menschen nur ein Atomschlag sein – denn alles andere ist schon dagewesen).

Völlig unabhängig davon, wie kompliziert die Lage in den vergangenen Jahren in der Ukraine gewesen ist; Völlig unabhängig davon, dass die NATO und „der Westen“ selbst Dreck am Stecken haben; Völlig unabhängig davon, was sonst für grauenvolle Dinge auf der Welt passieren: Das geht nicht. Und das sage nicht nur ich, sondern auch so gleichgeschaltete Mainstreamheinis wie der UN-Sicherheitsrat oder die Staatschefs der EU.

„Eine Mahnwache wird Herrn Putin nicht von seinem Krieg abbrignen. Was nützt sie dann?“, werde ich gefragt. Na klar, wenn ich in Kelheim mit ein paar versprengten Hanseln auf die Straße stehe, nutzt das niemandem in der Ukraine. Genausowenig wie die Mahnwachen gegen Abschiebungen irgendeine Abschiebung verhindert haben. Genausowenig, wie die Demonstrationen gegen Rechts, zu der mich die oben erwähnte Demo-„Veteranin“ mitgenommen hat, die AfD verhindert haben.

Ich verrate euch was: Man macht das für sich selbst. Um sich selbst seiner Haltung zu versichern. Es schafft ein Gemeinschaftsgefühl. Und das hilft gegen Angst und Ohnmacht – bis zu einem gewissen Grad. Das mag egoistisch klingen. Vielleicht ist es das auch. Aber vielleicht hilft es auch den paar Ukrainer*innen die heute dabei waren, gegen ihre Angst und ihre Ohnmacht, wenn sie wissen, dass sie nicht alleine sind. Und das ist schon was. Für das würde ich immer wieder auf die Straße gehen. Hoffentlich muss ich das nicht mehr, wenn ich 70 bin.

Wenn ihr Menschen in der Ukraine helfen möchtet, oder Menschen, die aus der Ukraine flüchten, beziehungsweise geflüchtet sind: Meldet euch bitte bei den zuständigen Stellen. Dem Landkreis, der Stadt, dem BRK, oder bei Vereinen wie dem Bündnis für Menschenwürde Kelheim e.V.

*Deepfakes (engl. Koffer- oder Portemanteau-Wort zusammengesetzt aus den Begriffen „Deep Learning“ und „Fake“) beschreiben realistisch wirkende Medieninhalte (Foto, Audio und Video), welche durch Techniken der künstlichen Intelligenz abgeändert und verfälscht worden sind. (Quelle: Wikipedia 27.02.2022)

Ansehnlich

„Die grausamen Sätze, die sie sich sonst selbst sagte, hatte ihr nun ein Fremder entgegengeschleudert: Du bist hässlich, haarig, pickelig, zu fett. Keiner interessiert sich für dich. Und obwohl sie in Wirklichkeit ein recht ansehnliches Geschöpf war, bildete sie sich jetzt ein, der Kunde hinter der Theke habe nur laut ausposaunt, was alle anderen, die Gäste an den Tischen, ihre Mitschüler, ihr Vater, ihre Mutter, ihre Schwester im Stillen dachten. Mit letzten Kräften wollte sie sich nur noch irgendwo einschließen…“

Dieser Satz stammt aus dem Roman „die Lügnerin“ von Ayelet Gundar-Goshen und beschreibt eine Situation, die wir alle kennen. Lügt nicht, ihr kennt sie auch. Ihr habt gerade mitfühlend genickt und gedacht: „Arme Maus. Ich weiß, was du meinst.“ Und vielleicht noch ein „Kopf hoch! Schau,du bist gar nicht so. Du bist ansehnlich.“ hinterhergedacht.

Der Roman aus dem dieses Zitat stammt, ist das diesjährige Thema der Veranstaltungsreihe „Kelheim liest ein Buch“. Genauer: Regensburg& Tel Aviv& Kelheim lesen.

Vom 14.03.2022 bis 13.04.2022 gibt es rund um das Buch zahlreiche Veranstaltungen in Regensburg, Tel Aviv und Kelheim.

Ich bin auch dabei. Am 19.03.2022 findet in meinem Atelier ein Töpferworkshop statt. Der Titel: „In meinen Augen bin das ich“

Meldet euch an. Ich bin gespannt darauf, wie ihr euch seht.

Verschlankt

Wer mich kennt, weiß, dass ich gerne viel mache. Also viel Verschiedenes. Und dass ich auch immer meine, alles machen zu müssen, was geht.

„Töpfer doch mal was für den Garten – Pflanzkübel oder so.“

„Weißt du, ich hab da neulich eine Vase gesehen, mit einem ganz tollen Blumenmuster. Könntest du…“

„Kleine Vogerl als Deko: Das würde sich gut verkaufen.“

„Machst du Duftlampen? In blau wäre schön.“

Und manchmal sind es nicht nur andere, die Ideen an mich herantragen. Oft sehe ich auch selbst Sachen, die mich inspirieren und die ich umsetzen möchte. So wie im vergangenen Jahr, als ich beschlossen habe, endlich Steinzeugton auszuprobieren. Das lief auch super und ich habe mittlerweile zweidrei zusätzliche Serien, die ich ganz gelungen finde.

Leider hat die Sache aber einen Haken. Ich mache viele viele unterschiedliche Dinge (tatsächlich neuerdings auch Duftlampen in blau) mit unterschiedlichen Tonen, die alle unterschiedlich behandelt werden wollen. Beispiel: Das hier

will ganz anders behandelt werden als das hier

Die Glasuren, die Brenntemperaturen – alles unterschiedlich. Und das führt dazu, dass ich Probleme habe, meinen Bestellungen nachzukommen. Irgendwas bleibt immer liegen oder muss warten. Und das in einer Welt, in der man was auch immer man haben möchte, mit einem Mausklick zwei Tage später vor der Haustüre liegen hat. Da kann ich nicht mithalten. Im Gegenteil, ich werde mit meinem zerfransten Angebot nur langsamer und langsamer.

Deshalb habe ich beschlossen, mich besser auf eine Sache zu konzentrieren. Mein Angebot zu verschlanken. Künftig möchte ich keine Bestellungen mehr annehmen, die mit rotem oder schwarzem Ton gearbeitet werden (also die obere Reihe).

Nicht erschrecken, bitte. Natürlich wird es auch weiterhin Füchse geben und Kräuterstecker und Gscheidhaferl. Aber termingebundene Bestellungen gehen einfach nicht mehr. Ich bitte um Verständnis.

Dafür gibt es viel Neues. Viel schneller.