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subj: Leichenfledderei
So 14 Jun 2005 17:22
matthias war hier. ich hab ihn rausgeschmissen. denk doch mal, er ist nicht etwa gekommen, um sachen klar zu stellen (naja, eigentlich doch), er wollte sex! ist das zu fassen? als ob er dafür nicht diese kleine nutte hätte. und nein, meine wortwahl tut mir nicht leid. er kommt und tut so, als wäre alles in bester ordnung.
wahrscheinlich geht das mit sandra schon ne ganze weile. wahrscheinlich hat sie ihn getröstet, weil es ihm ja sooo schlecht ging, nachdem er mich abserviert hatte!! ach, ich sollte mich nicht mehr aufregen. das macht mir kopfweh und magenschmerzen.
und es gibt für mich ja auch keinen grund mich aufzuregen – meint er. schließlich bin ICH seiner meinung nach die affäre und sandra die betrogene.
du siehst also: ICH bin die eigentliche nutte.
und was mich daran so krank macht ist nicht die tatsache, dass er es so sieht. es ist die tatsache, dass er recht hat.
dafür hasse ich ihn wirklich.
oh mann… alles was mir übrig bleibt ist mail um mail an dich zu schreiben. dabei würde es mir so gut tun, dich hier zu haben. ich wäre vielleicht gar nicht in dieser scheiße, wenn du hier wärst. wahrscheinlich nicht. noch fünf monate…
liebe grüße aus meinem winter in deinen,
klara.
Es war gut, wieder in die Schule gehen zu dürfen. Sie hatten mir zwar bis zum Ende des Schuljahres den Sport gestrichen, dafür überließ mir Gerlinde großzügig die Oberhoheit am Cyrano. Wahrscheinlich wollte sie nur die Verantwortung los sein, denn es lief nicht gerade prächtig. Serkan blühte nur in den Kampfszenen richtig auf und Samantha war nach wie vor die lahmste Roxane, die ich mir vorstellen konnte. Niemand würde sich unsterblich in so eine blutleere Schnepfe verlieben. Wenigstens konnte sie ihren Text. Was man vom hypernervösen Christian-Darsteller nicht gerade behaupten konnte. In einer Woche war Premiere. Das Bühnenbild war bereits fertig, ebenso wie die Kostüme. Serkan fand, er sehe in den Strumpfhosen zu weibisch aus und regte sich fürchterlich auf. Er fand sich erst damit ab, als er mitbekam, dass die holde Weiblichkeit von den Beulen in seinem Schritt durchaus angetan war. Ich vermutete, dass er heimlich noch ein Paar Socken dazustopfte.
Doch so hektisch es auch wurde – das alles prallte von mir ab. Sollten sie doch schlecht sein. Was würde schon passieren? Es war nicht meine Blamage und sie würden die ihre sicher bald vergessen. Nichts hiervon würde in die Geschichte eingehen. Es würde verpuffen und wenn der Rauch sich verzogen hatte, würde sich niemand mehr erinnern. So war es doch immer. So ging es auch mir. Diese unsterbliche Liebe, die Cyrano bis zu seinem Tod nicht losließ, existierte nicht für mich. Liebe verpuffte, ging nicht in die Geschichte ein, wurde vergessen. Und es tat nicht einmal weh, das zu denken. Ich hatte die Geschichte mit Matthias in einen Winkel meines Kopfes zurückgedrängt. Dort blieb sie und schmerzte nicht, denn ich hatte Nacht über sie gelegt. Und nicht nur darüber. Kalte klare Nacht füllte mich komplett. Ich war mir bewusst, dass diese Erinnerungen existierten, genau so wie der Schmutz, der an mir klebte. Doch diese Dunkelheit versteckte sie und ich konnte weiterleben und weiterdenken. Was ich dachte und fühlte, ließ mich dagegen manchmal selbst erschauern. Denn die schwarze Kälte hatte auch meine Gefühle und Gedanken im Griff.
Vor Liebeskummer heulende Elftklässlerinnen fand ich albern, Cordula, die sich beinahe täglich nach meinem Gesundheitszustand erkundigte, war mir lästig und selbst die schrecklichsten Bilder im Fernsehen ließen mich unbeeindruckt.
Manchmal, nur ganz selten, kam Hass in mir hoch. Nicht direkt in Zusammenhang mit Matthias und auch nicht mit tosender Urgewalt. Es war eher ein bitterer Geschmack auf der Zunge während ich die Straße entlang humpelte oder in meiner Tasche nach Büchern suchte und vergessen hatte, dass die rechte Hand noch immer unbeweglich war.
Matthias sah ich in dieser Zeit nie. Vielleicht ging er mir aus dem Weg, vielleicht nicht. Das Warum war mir egal. Ich war froh, ihn nicht sehen zu müssen.
Karin war richtig sauer. „Bis du zu Hause? Wir müssen reden! Ich komm gleich vorbei“, war der Wortlaut der SMS gewesen, die sie mir – wohl als Warnung – vorweg geschickt hatte. Mir dämmerte, warum sie mit mir sprechen wollte. Ich war Cordula gestern Abend ein wenig schroff über den Mund gefahren. Eine möchtegern intellektuelle Brillenschlange hatte ich sie genannt. Und dass sie mit ihrem verkopften Getue wohl in alle Ewigkeit keinen Typen abbekommen würde. Das hatte sie schwer getroffen. Ich hatte es an ihrem Blick erkannt. Und natürlich daran, dass sie gleich darauf schnell und wortlos verschwunden war. Ich hätte wissen müssen, dass sie ohne Umwege zu Karin laufen würde.
Karin spielte sich gerne als Beschützerin auf. Vielleicht als Reaktion darauf, dass sie sich immer rechtfertigen musste, alles zu haben. Einen tollen Mann mit Zukunftsplänen, die besten Noten und schönsten Jobaussichten sowie natürlich eine makellose Figur und ein hübsches Gesicht. Und da sie und Cordula enge Freundinnen waren, stand Karin jetzt bei mir im Flur und funkelte mich böse an.
„Sie hat mich die ganze Nacht vollgeheult! Wie konntest du nur so eine bösartige Zicke sein.“
Ich zuckte mit den Schultern. „Ich war nicht bösartig, ich war nur ehrlich.“
Karin blieb vor Staunen der Mund offen stehen. „Das ist doch jetzt nicht dein Ernst, oder? Du bist ihre Freundin, verdammt noch mal! Das war nicht ehrlich, das war verletzend!“
„Ja dann nenn es meinetwegen einen Freundschaftsdienst. Ihr bringt es doch einfach nicht fertig, ihr das zu sagen was ihr denkt.“ Und ich hätte es ebenfalls für mich behalten, hätte Cordula nicht die falschen Sachen gesagt. Sie hatte gestern in der Wunderbar ewig darüber geklagt, keinen Freund zu haben. Wahrscheinlich hatte sie gehofft, in mir eine Gleichgesinnte zu finden. Doch ich war nicht gleichgesinnt, sie war mir im Gegenteil ziemlich auf die Nerven gegangen. Und als ich die Floskel ausgepackt hatte, von wegen, sie solle sich locker machen, der Richtige käme schon noch und sie solle halt nicht immer nur auf den Einen warten sondern Spaß im Leben haben, war prompt zurückgekommen: „Ich bin eben nicht so eine wie du. Schneller Sex mit fremden Männern ist nichts für mich. Ich brauche da schon ein wenig mehr.“ Sie hatte es vielleicht nicht einmal böse gemeint. Und sie hatte vor allem nicht mit meiner Antwort gerechnet. Sie war aus mir herausgesprudelt, hart und erbarmungslos. Ohne Wut und ohne Rachegefühle. Das war vielleicht das Schlimmste gewesen.
„Warum bist du nur so?“, fragte mich Karin jetzt und klang nicht mehr ganz so aufgebracht. Ich zuckte wieder nur mit den Schultern. Was hätte ich auch sagen sollen? Dass ich nicht anders konnte? Dass ich leer war? Dass ich mich so sehr zusammenriss, dass auch die guten Gefühle auf der Strecke bleiben mussten? Sie würde es nicht nachvollziehen können, denn sie kannte nicht die ganze Geschichte. Die Sache mit Matthias war für sie schon ein alter Hut. Ich musste schon längst drüber weg sein. Die Karenzzeit war verstrichen.
Und wenn ich ihr erzählte, von Matthias und mir? Von unseren Treffen, unserer Abmachung und seinem Verrat? Ich betrachtete Karin genau, wie sie da stand, immer noch im Flur, als wollte sie gleich wieder gehen. Ich hatte das starke Bedürfnis es endlich los zu werden. Und ich wollte verstanden werden. Ich öffnete meine Mund um ihr alles zu sagen, um mich zu erleichtern, um zu jammern und zu heulen und murmelte stattdessen ein müdes: „Mir geht es momentan einfach nicht so gut.“ Und wie zum Beweis rieb ich mir die Stirn „Ich weiß auch nicht, was mich da geritten hat.“
Ich war mittlerweile so geübt im Lügen, dass ich mich dumpf wunderte, wie leicht es ging. Und mit dem Versprechen, mich gleich heute noch bei Cordula in aller Form zu entschuldigen, gab sich Karin auch zufrieden.
Sie war schon fast aus der Tür, als sie sich noch einmal umdrehte und fragte: „Matthias hat ne Neue – wusstest du das?“
Ich presste meinen Kiefer zusammen, atmete tief ein und hatte mich perfekt unter Kontrolle. „Ja. Aber das ist mir egal. Matthias kann machen was er will. Und die Geschichte mit ihm ist echt schon Ewigkeiten her.“ Sogar meine Stimme klang unbeeindruckt.
Karin war schon längst verschwunden, als ich immer noch darüber nachdachte. Warum log ich meine Freunde denn noch an? Es musste nicht mehr sein. Die Affäre mit Matthias war vorbei, unsere Abmachung galt nicht mehr. Es konnte mir egal sein, wie er darüber dachte. Und es konnte mir helfen, wenn sie davon wussten. Stattdessen machte ich weiter wie bisher und nahm dabei in Kauf meine Freunde vor den Kopf zu stoßen, sie vielleicht sogar zu verlieren. Es war, als würde er immer noch eine Hand auf meiner Schulter haben. Er war weg, fort und ich hörte immer noch auf seine Stimme. Ich schüttelte den Kopf. Ich sollte mich davon befreien. Ich sollte ihn aus meinem Kopf verjagen. Und doch zögerte ich. Denn der Gedanke an diese Freiheit kam mit dem Gefühl verlassen zu sein.
„Meine Jungs sind ganz schön sauer, dass deine Mädels frei haben und sie beim 5000-Meter-Lauf schwitzen müssen!“ Kai hatte mich auf meinem Weg ins Lehrerzimmer eingeholt und ging nun grinsend neben mir.
„Deine Jungs sind doch nur sauer, dass sie meine Mädels nicht beim Hochsprung beglotzen können.“, gab ich nüchtern zurück.
„Ja, das wäre auch eine gute Begründung.“ Er lief ein wenig rot an und deutete auf meine Hand, der die Prellungen nur noch schwach anzusehen waren. Auch Knie und Gesicht heilten gut. „Du hast momentan genug von der Lauferei, oder?“
Ich zog meine Hand aus seinem Blickfeld und wandte mich ab. Seit meinem Unfall hatte ich viele Witze über mich ergehen lassen müssen. „Zu blöd zum Laufen“, war der beliebteste. Und ich wollte jetzt nicht, dass Kai sich ebenfalls über mich lustig machte. Nicht, weil ich das nicht auch noch hätte aushalten können, sondern weil er indirekt mit meinem Unfall zu tun hatte. Er war quasi derjenige, der mich zuletzt lebend gesehen hatte. An ihn hatte ich die letzten Gedanken verschwendet, bevor… was wäre gewesen, wäre ich einfach mit ihm nach links abgebogen?
Kai verstand sofort: „Hey, ich wollte mich nicht über dich lustig machen. Ich war nur die letzten Tage immer wieder mal im Park joggen und hab dich nicht gesehen.“
„Nein, das geht momentan noch nicht. Und außerdem ist mir gerade wirklich nicht nach Joggen.“ Vor allem nicht im Park. Ich würde meine Seele nicht wieder so quälen, wie die Wochen zuvor. Das war vorbei.
„Na dann ist dir vielleicht nach Bier?“, fragte er beiläufig. Er zog die Augenbrauen hoch und sah mich lächelnd an.
Ich runzelte die Stirn. Versuchte er mich anzubaggern? „Bier im Sinne von: Ausgehen?“ Meine Stimme klang unwillig.
„Bier im Sinne von : Bier. Kollegenbier.“, beschwichtigte er sofort. Ich zögerte. Eigentlich war mir nicht danach. „Komm schon. Es ist Sommer, die Biergärten locken und du kannst dir ruhig mal ne Pause gönnen. Was stünde bei dir denn heute noch an? Unterrichtsvorbereitung? Wie öde.“
Seine Argumente klangen verlockend und ich kam ins Wanken. Wenn er unbedingt drauf bestand, würde ich eben mitkommen. Außerdem war er ganz nett und ein netter Mensch konnte momentan ja nicht schaden. Ganz zu schweigen von einem kühlen Radler.
„Also dann, nach Schulschluss, Herr Kollege.“, sagte ich und betrat das Lehrerzimmer.
„Sehr gerne, Frau Kollegin.“
Im Schatten der großen Lindenbäume war die Luft angenehm kühl. Ich genoss mein Radler und immer mehr auch das Gespräch mit Kai. Dabei beließen wir es bei eher belanglosen Themen. Wo er herkam, wie lange er schon Lehrer war und was ihm in seiner erst kurzen Lehrerlaufbahn schon für kuriose Sportverletzungen untergekommen waren. Ich ertappte mich bei einem Lächeln. War es die Wärme, der Alkohol oder Kai? Ich merkte, wie sich ein paar Sonnenstrahlen in meine Nacht schlichen.
„Wirst du eigentlich in Regensburg bleiben? Oder hast du dich wegbeworben?“, wollte er mit einem Mal wissen.
„Ich hoffe, ich kann bleiben.“, erwiderte ich ohne nachzudenken. „Aber ich hab noch keine Antwort. Vielleicht wird’s ja auch München oder so.“
Er nickte. „Die brauchen immer ganz schön lange, bis sie einem Bescheid geben. Manchmal bis kurz vor Schulbeginn. Das war bei mir auch so.“, erzählte er. Und dann legte er noch ein paar Geschichten dazu. Über einen Studienkollegen, der die ersten Wochen des neuen Schuljahres im Auto übernachten musste, weil er auf die schnelle keine Wohnung finden konnte, über eine Zweck-WG mit einem schwulen Pärchen und über das skurrile Zimmer einer schrulligen Vermieterin.
Als ich auf dem Fahrrad nach Hause fuhr war ich zum ersten Mal seit langem wieder ein Stück weit entspannt. Meine Gedanken kehrten erneut zu dem Gespräch über meine Bewerbungen zurück. Regensburg war meine erste Wahl gewesen. Es war wunderschön hier, die Stadt war eine einzigartige Mischung aus mittelalterlichen Bauten, touristischen Extremen, einer Menge cooler Typen, Kunst, Kultur, Rockmusik und Gemütlichkeit. Ganz zu schweigen vom pulsierenden Nachtleben. Und von Matthias. Meine Bewerbung war auch eine Bewerbung für Matthias gewesen. Damals, in dem anderen Leben, als wir noch zusammen waren.
Und plötzlich schnitt es wieder. Es tat wieder weh an ihn zu denken. Ich radelte schneller, wollte die unangenehmen Gedanken vertreiben. Es war zu hell geworden in mir und das gefiel mir gar nicht. Ich wollte wieder Dunkelheit und Nacht. Ich brauchte sie. Also radelte ich noch ein wenig schneller. Und während ich über das Kopfsteinpflaster bretterte und Passanten auswich verschloss ich sorgfältig alle Fenster, die das Licht hereingelassen hatten. Als ich bei meiner Wohnung ankam, war ich aus der Puste. Aber die Nacht hatte mich wieder.
from: klara.m78@yahoo.de
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subj: so ein käse
Mo 22 Jun 2005 22:46
servus süße!
streich’s dir rot im kalender an: ich hatte einen echt guten nachmittag. naja, abgesehen von der panik, die unsere theatertruppe fest im griff hat. mein „christian“ ist heute nach seinem dritten texthänger (in seiner ersten szene!) aufs klo gerannt um zu heulen und hinter der bühne hätten sich beinahe zwei mädchen geprügelt. serkan, mein hauptdarsteller macht jede probenwoche eine nach der anderen klar und das ist wohl jetzt erst rausgekommen. die motivation ist auf alle fälle mächtig im eimer und ich hatte jede menge zu tun, um die wildgewordenen und die verzweifelten wieder zurück zur probe zu bringen…
und dann bin ich noch mit meinem kollegen kai in die linde auf ein feierabendbier. und bevor du fragst (oder dir unnötige fragen stellst): nein, kai ist kein alternder lüstling sondern ein eigentlich ziemlich gut aussehender sportlehrer in meinem alter.
nein, das war kein date.
nein, echt nicht.
nein, er hat sich mir nicht an den hals geworfen und nein, ich habe auch nicht vor mich an seinen zu werfen.
es war nur ein feierabendbier.
und weißt du was? ich fände es eigentlich gar nicht mal so schlimm, wenn ich nächstes jahr nicht mehr in regensburg wäre. ja, sicher, du würdest dann wieder hier wohnen. aber wer weiß schon für wie lange? wenn du ehrlich bist, könntest du es selbst nicht sagen. und das wäre doch dann auch kein weltuntergang, oder? mal sehen, wo’s mich hinweht. ich hab auf jeden fall keine angst mehr vor einer versetzung.
furchtlose grüße,
klara
ps: karin hat heute angerufen und mich zu franks ich-zieh-bald-aus-meiner-ollen-bude-aus-und-mit-meiner-freundin-zusammen-in-eine-neue-bude-party eingeladen. aber weil frank keinen ärger mit seinen vermietern haben will (du weißt schon: malerarbeiten und so), feiert er anstatt in seiner ollen bude eben im freien. an der donau mit lagerfeuer und so. ich glaub ich werd nicht hingehen – oder doch? vielleicht sollte ich karin keinen grund geben, auf mich sauer zu sein. das war sie nämlich erst vor kurzem und es war nicht angenehm… du kennst ja karin.