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subj: offiziell
Fr 21 Aug 2005 12:24 Uhr
also, meine süße: ich bin mir echt im klaren darüber, dass ich mich in den letzten zwei wochen ruhig hätte melden können. und es ist auch wirklich viel passiert, was es wert wäre hier seitenweise zu schreiben. aber irgendwie hätte ich keine formulierung gefunden.
also folgendes: matthias und ich sind wieder zusammen. ganz offiziell. heute abend muss ich sogar mit ihm auf eine party gehen. ich will eigentlich nicht. da sind zu viele leute, die ich kenne. vielleicht sollte ich mir ein schild umhängen auf dem die ganze erklärung steht:
ja, matthias und ich sind wieder zusammen. ui.
mehr ist es eigentlich nicht.
klar, du weißt, dass es noch mehr ist. aber ich schaffs ja kaum, den mädels von meinem baby zu erzählen. ich weiß genau, wie karin dreinschauen wird. und cordula erst. ich wünschte, ich hätte jemanden, der mir das abnimmt…
aber jetzt erst einmal alles nacheinander. erstmal verkünden, dass wir wieder ein paar sind.
ein seltsames paar, um ehrlich zu sein.
ich mein’, es ist alles gut und solide und langsam fangen wir auch schon an zu planen und ich will das ja auch alles. trotzdem fühlt es sich manchmal irgendwie zu eng an?
blöd, oder? ich weiß immer noch nicht was ich genau will. aber das sind die hormone 😉
und es ist ja auch nur manchmal. meistens geht’s mir gut.
ich lass das jetzt alles mal auf mich zukommen – mehr kann ich doch eh nicht tun, oder?
wie sieht‘s bei euch aus? bleibt ihr jetzt noch ein weilchen, oder kommt ihr doch, wie geplant zurück? und kommt paul überhaupt mit?
ich vermiss dich hier schon sehr. (das kann ich selbstverständlich nur so ruhigen gewissens sagen, weil ich weiß, dass du dich deswegen nicht sofort in den flieger schmeißt und hierher kommst. andererseits ist es auch nicht schlecht, wenn menschen ihre meinung mir zuliebe ändern… matthias zum beispiel. aber das ist eine andere geschichte und die erzähl ich dir tatsächlich erst, wenn du wieder da bist. nicht dass das ein ansporn sein sollte… ;-))
hideho,
klara
Es war schlimmer, als ich gedacht hatte – und auch wieder nicht. Im Innenhof vor Stefans Wohnung drängelten sich tatsächlich noch mehr bekannte Gesichter, als ich befürchtet hatte. Stefan hatte querbeet eingeladen. Sogar Armin und seine Mitbewohner konnte ich entdecken. Karin und Frank und tatsächlich auch einige meiner Studienkollegen. Tobi war nirgends zu sehen, wie ich mit Erleichterung feststellte.
Ebenfalls beruhigend war, dass die meisten unserer Bekannten unser gemeinsames Auftauchen mit einem kurzen fragenden Blick quittierten, sich aber dann nicht weiter darum scherten. Nur einige fragten nach, erhielten eine knappe Antwort und gaben sich zufrieden.
Zwei Ausnahmen gab es an diesem Abend. Wir waren noch nicht ganz angekommen, waren gerade dabei uns im Gewühl zu orientieren, da stürmte auch schon Karin auf mich los.
„Entschuldige uns kurz, ja?“, bellte sie Matthias an und zog mich mit sich.
„Findest du nicht, ich hätte ein Recht darauf das irgendwie anders zu erfahren?“ Sie stemmte die Hände in die Hüften. „Und dann hast du Cordula noch nicht mal Details erzählt! Was soll denn das?“ Ihre Wut war nicht vollkommen echt, das sah ich ihr sofort an. Klar, sie war wohl ein wenig in ihrem Freundinnenstolz gekränkt, dass ich nicht sofort und nicht ihr zuerst von Matthias und mir erzählt hatte. Aber richtig schlimm war das für sie nicht. Ihre Augen lächelten bereits.
„Die Details hab ich mir natürlich für dich aufgespart.“, antwortete ich mit einem Grinsen. „Lass mich nur schnell was zu trinken holen, ja?“ Und dann erzählte ich ihr die offizielle Version, auf die sich Matthias und ich geeinigt hatten. Dass er mir vor einigen Wochen einen langen Entschuldigungsbrief geschrieben hatte, dass wir daraufhin viel geredet hatten und beschlossen hatten, unserer Beziehung noch eine Chance zu geben. Langweilig aber glaubhaft.
„Ich weiß nicht. Eine aufgewärmte Beziehung ist immer irgendwie… aufgewärmt.“, meckerte Karin.
„Mag sein.“, gab ich zurück „Aber wenn ich der Sache noch eine zweite Chance geben kann, dann kannst du’s auch, oder?“
„Ist er echt so gut im Bett?“
„Ja, ist er.“
Ich atmete auf. Es war leichter gewesen, als ich gedacht hatte.
Die zweite Ausnahme betraf nicht direkt mich sondern viel eher Matthias. Denn wie aus dem Nichts stand plötzlich Sandra vor ihm. Wann sie zur Party gekommen war, konnte keiner sagen. Es war auch egal, denn sie blieb nicht lange. Ihre Hand klatschte geräuschvoll in Matthias’ Gesicht. „Blöder Wichser!“, fauchte sie ihn an. Dann drehte sie sich zu mir, musterte mich mit Wut in den Augen und sprach mit Bitterkeit in der Stimme: „Ich hätte es wissen müssen. Die Ex sticht man halt nie aus.“ Drehte sich um und war verschwunden.
„Willst du ihr nicht nachgehen und es ihr erklären?“, fragte ich Matthias, als sich die umstehenden Schaulustigen wieder ihren Drinks zugewandt hatten. Er war immer noch völlig perplex. „Spinnst du? Die hat doch ’nen Knall! Ich such mir jetzt Eis zum Kühlen und hol mir noch ein Bier zum Betäuben. Nachgehen… erklären… ts!“ empörte er sich noch, während er sich auf den Weg zur Bar machte, die Stefan in den Innenhof gezaubert hatte.
Schulterzuckend nippte ich von meiner Limonade und gesellte mich wieder zu Karin, mit der ich den Zwischenfall noch einmal kräftig durchdiskutierte. Langsam schien ich mich wirklich zu entspannen. Ich genoss die Party sogar richtig. Quatschte mit Armin, Frank und sogar mit Mike. Im Laufe des Abends wurden viele Zungen schwer vom Alkohol, doch niemandem fiel auf, dass ich mich auf Limonade und Wasser beschränkte. Gut so, schließlich wohnte Stefan ganz in meiner Nähe und die Ausrede „Ich muss noch Auto fahren“ wäre kaum glaubhaft gewesen oder hätte zumindest Fragen nach sich gezogen.
Die Nacht wurde langsam kalt, ich hatte mir bereits meinen warmen Pulli übergestreift und unterhielt mich gerade mit Mike über seine neue Lieblingsband, da sah ich Karin auf mich zukommen. Sie sah ein wenig besorgt aus, berührte mich leicht an der Schulter und flüsterte: „Du solltest mal lieber an die Bar zu Matthias schauen. Sieht ein bisschen so aus, als würde er gleich Streit anfangen.“
Verwundert entschuldigte ich mich bei Mike und schlängelte mich gemeinsam mit Karin zwischen den anderen Gästen zur Bar. Wahrscheinlich war Sandra zurückgekommen, um ihm noch einmal eine Szene zu machen. Doch es war nicht Sandra. Es war ein stark angetrunkener Tobias. Abrupt blieb ich stehen, mein Puls explodierte in meinem Hals und meine Hände wurden schweißnass. Tobias stand auf wackeligen Beinen am Tresen. Mit der einen Hand hielt er sich daran fest, die andere krallte sich förmlich in Matthias’ Schulter. Tobias hatte sich zu Matthias gebeugt, ihre Gesichter waren nur eine Handbreit voneinander entfernt. Doch ich konnte hören, um was es ging.
„Du bist so ein verdammtes Arschloch, Matthias Knaup! Du denkst doch nur an dich.“
Matthias funkelte Tobias böse an. Auch seine Augen hatte der Alkohol schon mit einem glänzenden Schleier überzogen. Und seine Stimme klang eher besorgt, als wütend.
„Komm schon. Beruhige dich und dann verschwinde. Du bist total voll!“ Und er griff nach Tobias’ Hand, löste sie von seiner Schulter und wollte seinen Freund aus dem Innenhof schieben. Doch Tobias wehrte sich, entwand sich Matthias’ Griff und drehte sich zu ihm um. „Lass mich los! Ich soll gehen? Warum soll ich denn gehen? Weil ich betrunken bin? Das bist du doch auch!“ Tobias’ Stimme übertönte die Musik und ich registrierte aus dem Augenwinkel, wie immer mehr Gespräche um mich herum verebbten und die Gäste sich den beiden Streithähnen zuwandten.
„Komm schon.“, setzte Matthias ein weiteres Mal an. Doch Tobias schüttelte den Kopf.
„Ich soll gehen? Warum denn? Ich sag’s dir! Weil du Angst hast! Du hat ne verdammte Angst Matthias Knaup!“
Und wieder packte Matthias ihn und wollte ihn nach draußen schaffen, doch Tobias war in Fahrt und ließ sich nicht bremsen.
„Du hast Angst ich könnte ihr erzählen, dass du sie benutzt hast.“
Mein Atem stockte.
„Monatlang hast du sie gefickt und sie hat dir nichts bedeutet!“
Ich spürte eine Hand an meinem Handgelenk. Sie hielt mich fest, als wollte sie mich nicht eher loslassen, bis ich dementiert oder bestätigt hatte. Es war Karin.
„Und jetzt?“ Tobias’ Gesicht war eine spöttische Fratze.
„Halt’s Maul!“, zischte Matthias.
„Halt den Mund!“, bettelte ich unhörbar.
Tobias grinste. „Und jetzt machst du einen auf Liebe. Weil sie schwanger ist.“
Ich schloss die Augen. Der Griff um mein Handgelenk wurde fester.
„Was?“ Hörte ich Karin hinter mir zischen. Ich reagierte nicht. Ich fiel in mich zusammen. Bausteine meiner Lügengebäude bröckelten herab, begruben mich unter sich.
„Das spielst du ihr doch auch nur vor!“, schrie Tobias noch, ehe Matthias ihn endgültig von der Party zerrte.
„Klara!“ Karins Stimme verlangte nach einer Erklärung. Doch ich riss mich los und folgte den beiden.
Sie hatten es durch die große Toreinfahrt nach draußen auf die Straße geschafft. Es war ein Wendeplatz für Autos – um diese Uhrzeit menschenleer. Ich blieb verborgen hinter einer Mauerecke in der Einfahrt stehen.
Matthias und Tobias standen sich gegenüber wie zwei erschöpfte Ringer. Tobias war derjenige der als erster wieder zu sprechen begann.
„Du liebst sie nicht.“
„Du hast doch echt keine Ahnung.“, gab Matthias zurück.
„Doch.“, flüsterte Tobias. „Doch, ich weiß wie das ist. Ich liebe sie.“
Mein Herz krampfte sich zusammen. Ich biss mir auf die Unterlippe, um nicht zu schluchzen. Auch Matthias hatte es die Sprache verschlagen. Für mehrere Sekunden sagte keiner ein Wort. Sie taxierten sich. Man sah ihnen an, dass sie nicht streiten wollten. Doch sie schienen keine Wahl zu haben. Tobias richtete sich auf. „Du bist ein Feigling. Hast du ihr von der Schweiz erzählt? Bestimmt nicht.“
„Ich gehe nicht. Wir bleiben hier.“, antwortete Matthias und ich hörte die Enttäuschung, die in seinen Worten mitschwang.
„Oho! Sie mal einer an. Klingt, als wäre dir das ganz schön schwer gefallen.“, provozierte Tobias. Und Matthias – die Zunge gelockert und das Gehirn benebelt von zu viel Bier – stieg prompt darauf ein. Als hätte er nur darauf gewartet, es herauszuschreien, es irgendjemandem zu erzählen.
„Ja, verdammt schwer! Aber was soll ich denn tun? Was soll ich denn verdammt noch mal tun?“ Die Fragen platzten nur so aus ihm heraus, die Verzweiflung brach sich Bahn. „Mein ganzes Architektenleben hab ich auf so ne Chance gewartet. Und jetzt werf’ ich sie weg! Weil ich Verantwortung übernehmen muss. Weil ich für sie da sein muss. Weil da dieses Kind ist, das sie so unbedingt will und ich nicht!“ Seine Stimme verschwand zu einem Flüstern. Er sprach, wie zu sich selbst. „Und ich weiß nicht, ob ich sie nicht irgendwann dafür hassen werde.“
„Warum liebt sie dich nur so?“, war das Einzige, was Tobias noch antwortete. Dann drehte er sich um und verschwand in die Nacht.
Mit einem Ruck löste ich mich aus meiner Starre, lief zurück zur Party und holte meine Sachen. Karin versuchte mich aufzuhalten, doch ich war jetzt nicht in der Lage zu sprechen. Ich schüttelte nur den Kopf und versuchte ein Lächeln, als ich ihr besorgtes Gesicht sah. Dann verließ ich den Innenhof. Im Torbogen stand Matthias. Er schwankte leicht.
„Klara, wo willst du hin?“
„Nach Hause.“, antwortete ich, den Kopf abgewandt. Er stellte sich mir in den Weg, zwang mich, ihn anzusehen. Ein Blick in meine Augen genügte und er begriff.
„Du hast das gehört, zwischen Tobi und mir.“
Ich nickte.
„Klara, lass mich das erklären, ja?“
„Ich muss jetzt allein sein. Wirklich. Bitte Matthias.“ Sanft aber bestimmt entzog ich mich ihm und lief die Straße entlang. Er folgte mir nicht.
Kaputt. Es ging mir wieder und wieder durch den Kopf. Kaputt. Eine Liebe, eine Freundschaft, ein Leben. Kaputt. Während meine Sandalen auf dem Asphalt klapperten, begann es zu donnern. Ich war dabei, alles um mich herum kaputt zu machen. Das musste aufhören. Ich musste einen Weg finden. Wie spät war es wohl jetzt in Australien?
Ich wusste, er würde kommen. Und ich brauchte nicht lange zu warten. Bald nachdem der Regen eingesetzt hatte, drehte sich sein Schlüssel im Schloss. Ich stand auf, empfing ihn an der Haustür. Matthias war vollkommen durchnässt, sein Hemd klebte an seinem Oberkörper und Wassertropfen fingen sich in seinen Wimpern. Er atmete schwer, als wäre er gerannt. In seinen Augen mischten sich Angst und Entschlossenheit. Der Alkoholschleier war verschwunden.
„Klara…“, begann er entschuldigend. Doch ich legte ihm den Finger auf den Mund.
„Schscht. Nicht reden.“ , flüsterte ich. „Nicht reden.“ Ich küsste ihn, griff nach den Knöpfen an seinem Hemd und fing an, Abschied zu nehmen.
Seine Haut war kalt, nass und hart. Ich wärmte sie mit der meinen, machte seine Lippen weich mit meinen Küssen. Meine Hände fuhren über sein Gesicht, er sah mir in die Augen als versuchte er eine Antwort zu finden. Ich schüttelte den Kopf. Keine Antworten. Nicht jetzt. Wir gingen ins Schlafzimmer, sanken zwischen die Kissen, küssten uns. Liebten uns. Vielleicht das einzige Mal. Ich spürte, wie wir verschmolzen. Ein Atem, ein Herzschlag.
Wir hielten uns noch lange eng umschlungen. Ich sog seinen Duft ein, speicherte seine Wärme. Lächelnd schloss ich die Augen und schlief ein.
Matthias erwachte wenige Stunden später durch das Geräusch des Reißverschlusses an meiner Reisetasche. Er blinzelte einige Sekunden, versuchte einzuordnen, was seine Augen sahen. Dann setzte er sich verwundert auf.
„Du packst?“
„Ja.“
„Wieso?“
„Ich gehe.“
„Wohin denn?“
„Weg.“
„Wann kommst du wieder?“
Mein Schweigen erschreckte ihn. Er sprang aus dem Bett, zögerte, fühlte sich entblößt und zog sich schnell seine Boxershort über.
„Du verlässt mich, oder?“
Ich schloss die letzten Verschlüsse an meiner Tasche.
„Wieso? Klara, bitte!“
„Du weißt es doch selbst.“
„Ist es wegen gestern? Klara, ich…“
„Nein, ist es nicht. Es funktioniert nicht. Auch nicht, wenn wir es noch so sehr wollen.“
Er wusste, wie recht ich hatte. Ich sah es in seinen Augen, die sich langsam mit Tränen füllten. Auch meine Tränen waren nur ein Blinzeln entfernt. Ich ging zu ihm, küsste ihn zum Abschied und schmeckte salziges Wasser auf meinen Lippen. Seine Tränen. Und meine.
„Ich lie…“, begann er. Doch ich verbot ihm den Mund.
„Nein, sag es nicht. Lass es nicht mit einer Lüge enden.“
Dann drehte ich mich um, nahm meine Tasche und ging.
Das Terminal wirkte trotz der Menschenmassen irgendwie leer. Durchsagen im Minutentakt füllten die Luft. Erschöpft und seltsam emotionslos beobachtete ich die wartenden Menschen. Aufgeregte Familien, stumme Paare, beschäftigte Typen in Anzug und Krawatte.
SMS von „Vreni“ an „Klärchen“
8 Uhr geht klar. Ich hol dich ab. Halt durch, es wird alles gut!