Wir machen das jetzt!

Vor ein paar Tagen schickte mir meine Theaterkollegin eine Mail mit dem kurzen Hinweis: „Im Anhang findest du das Hygienekonzept für die Theateraufführung. Falls wir nach unserer Rückkehr aus Italien in Quarantäe müssen, sollte es jemanden geben, der das dabeihat und vorzeigen kann.“

Naja, was soll ich sagen: Die Theaterkollegin ist Teil des Ensembles. Wenn sie in Quarantäne muss, spielen wir nicht. So einfach ist das. Um was für eine Aufführung es geht? Bittesehr, um die hier:

Theaterstücke – oder Aufführungen allgemein – zu realisieren, ist auch ohne Pandemie immer eine Sache, bei der man eine gute Portion Glück braucht. Angefangen von: „Kriegen wir einen ordentlichen Probenplan gebastelt?“ über „haben wir genug Helfer?“ bis hin zu „hoffentlich wird keiner krank“. Man ertappt sich während so einer Inzenierung schon öfter bei leicht abergläubischen Gesten (aufholzklopf) und verzweifelten Stoß- beziehungsweise erleichterten Dankgebeten.

Nun ist das alles aber ziemlich lauwarmes Pillepalle im Vergleich zu den Unwägbarkeiten, die die Pandemie für kulturelle Veranstaltungen so mit sich bringt. 2G, 3G, drinnen, draußen, Getränkeausschank oder nicht… bei rasant steigenden Inzidenzen und immer schärfer werdenden Vorgaben.

Nein, das wird hier jetzt sicher keine Jammerei über Maßnahmen und Zugangsbeschränkungen, denn:

Wir haben einen Weg gefunden und wir machen das jetzt! Wir spielen. So sicher, wie es für alle Beteiligten möglich ist. Denn wir wollen. Es wird toll – ganz bestimmt!

Also packt den Impfpass (und den Personalausweis!), eine Glühweintasse und ein Sitzkisserl ein, zieht euch warm an und kommt.

Am 14.11.2021 nach Saal oder am 21.11.2021 nach Kelheim.

Wir sind auch da – also falls keiner krank ist, oder in Quarantäne. Und falls das Wetter hält oder nicht doch noch…

Instant Ostergefühl

Eine Freundin schickt mir ein Bild mit einem selbstgefärbten Osterei und fragt: „Und? Schon in Osterstimmung?“

Dieses Bild hat ein leeres alt-Attribut; sein Dateiname ist 20210402_161231.jpg.

– „Naaaah“, denke ich nach kurzem Überlegen. Wirklich nicht. Wieder nicht. Meine Kinder sind in einem Alter in dem sie Glaube und Kirche als lächerlich empfinden. Oder einfach nur als unwichtig und/oder langweilig. Mein Mann war da eh immer ziemlich locker. Außerdem fällt das traditionelle Osterfrühstück in unserem teils veganen Haushalt diesmal irgendwie flach. Genauso wie die Osteressen bei der Verwandtschaft. Und Gottesdienste zu Ostern? Ich bin mir nichtmal sicher, ob ich ohne Corona in die Ostermesse gehen würde. Da hat die Kirche einfach zuviel verbockt (und verbockt noch immer) – sogar für meine Begriffe.

Diese Art der Osterstimmung habe ich also nicht. Ich warte auch nicht auf sie. Ich weiß aber, dass mich eine andere Osterstimmung begleitet. Sie schlummert in mir und ich möchte euch davon erzählen:

Die Christkönigskirche in meinem Heimatort Saal an der Donau im März 2004. Etwa 20 Menschen lehnen an der Wand hinter dem Altar. Über ihnen das riesige Wandbild eines auferstandenen Jesus Christus. Und vor ihnen die leere Bühne der Passionsspiele. Die Aufführung ist zuende, der Chor singt (so gut er eben kann – ganz freundlich ausgedrückt) „Sei gegrüßt Herr Jesu“ und die Spieler*Innen stehen da, schauen vor sich hin, lächeln, weinen. Es gibt keinen Applaus. Nur dieses Lied.

Ich lehne ebenfalls an dieser Wand. Neben mir Jesus, Maria Magdalena, Judas – gespielt von meinem Papa, Petrus und so viele andere. Ich bin Veronika (die mit dem Schweißtuch, ihr wisst schon) und ich gehöre zu denjenigen, die weinen. Ich befinde mich in einem emotionalen Ausnahmezustand. Wenige Wochen zuvor ist mein erstes Kind zur Welt gekommen. Zehn Tage nach diesem wohl einschneidensten Erlebnis meines Lebens hat meine Schwester den Kampf gegen den Krebs verloren. Leben und Tod – alles innerhalb weniger Tage. In meiner Erinnerung ist es ein nebeliger Brei aus Anstrengung, Liebe und Tränen. Mittenreinverflochten sind diese Passionsspiele, von denen ich immer noch nicht weiß, ob sie mich einfach nur überfordert oder irgendwie gerettet haben.

Passionsspiele sind ja aus der Sicht eines Theatermenschen eine schwierige Sache. Wie der „Brandner Kaspar“, nur schlimmer. Der Text ist Bibeltext – von Generationen von uninspirierten Priestern emotionslos vorgetragen und im Kopf eines jeden Kirchgängers verankert als geleierte Pflichtübung. Die Rollen sind ohne Tiefgang. Sie entwickeln sich kaum. Vor allem nicht die zahllosen Randfiguren – und die beginnen schon beim „Lieblingsjünger“ Johannes. Wir versuchen, diese millionenfach heruntergebetete Geschichte zum Leben zu erwecken. Es ist vielleicht (oder mit Sicherheit!) nicht das beste Theater, aber ein paar Momente lang haben wir die Zuschauer im Sack. Etwa wenn Jesus im Tempel ausflippt, wenn er am Ölberg darum bittet, verschont zu bleiben, wenn Judas an seiner Schuld verzweifelt (ich bin vielleicht befangen, aber… Wahnsinn!), oder bis ins Mark gehende Hammerschläge in der Kreuzigungsszene durch das Kirchenschiff hallen. Wumm! Wumm! Wumm!

Von meinem Platz aus kann ich sehen, dass da nur ein Techniker mit einem Hammer auf ein Stück Holz schlägt. Trotzdem jagt es mir Schauer über den Rücken. Und obwohl ich die meiste Zeit der Kreuzigungsszene nur hoffe, dass uns unser Jesus nicht vom Kreuz auf den harten Kirchenboden kippt, schaudert mich bei dem verzweifelten „Eli, Eli, lema sabachtani?“ (Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?).

Diese Momente sind mein Ostern. Seit 17 Jahren. Und ich kann sie jederzeit wieder hervorholen. Oder sie holen mich. Wann immer ich die Leidensgeschichte höre, wann immer irgendwo auch nur ein Ton des Schlussliedes erklingt, wann immer ein Priester in der Kirche sagt: „Fürchtet euch nicht“ – für mich ist das Ostern. Meine Osterstimmung. Leben und Tod, Tod und Leben. Eine kalte Kirchenwand im Rücken, das Bild des auferstandenen Jesus über mir, die Worte „Seht, ich bin bei euch – alle Tage bis zum Ende der Welt“ im Ohr.

Vielleicht ist für euch Ostern etwas ganz anderes. Vielleicht ist es lächerlich oder egal. Vielleicht ist es ein Osterfrühstück mit der Familie – was auch immer. Das geht für mich vollkommen klar. Für mich ist es das:

Leben und Tod, Tod und Leben. Der Sieg der Liebe über den Tod. Die Gewissheit, dass Liebe immer stärker ist. Immer.

Frohe Ostern.

eseliert

Es ist mir lange nicht aufgefallen, dieses Wort. Seit ein paar Wochen schon höre ich es bei den Theaterproben. „Ja, – ich hass‘ dich, du inhumane Menschheit, ich will dich fliehen, eine Einöde nehme mich auf, ganz eseliert will ich sein!“, schreit Titus Feuerfuchs in Johann Nepomuk Nestroys Posse „der Talisman“.

Doch seit einigen Tagen sitzt diese Formulierung in meinem Ohr und mag sich nicht recht woandershin eselieren. Warum nur? Es ist ja noch nicht einmal mein Text, der sich wie ein Las-Ketchup-Song in feinster Ohrwurm-Manier immer und immer wieder abspult.

Ich denke, es sind die Umstände. Ich habe mich den Sommer über durchaus ein wenig eseliert. Und ich fand’s nicht immer schlimm, muss ich gestehen. Eine etwas eselhaft sture Isolation war das. Langsam, bedächtig, ausdauernd.

Jetzt ist der Sommer vorbei und ich entdecke zunehmend, dass meine Esolation schonmal als eselhaft dumme Isolation betrachtet wird. Ich bin nicht locker genug um die Maske in Innenräumen einfach abzunehmen. Ich bin zu überängstlich um liebe Menschen zu umarmen. Verkrampft, spaßbefreit, obrigkeitshörig.

Das setzt mir zu. Weil ich mich selbst so nicht sehe und weil ich eigentlich nicht so sein will. Aber was ist die Alternative? „Bleib doch einfach zu Hause, wenn du so viel Angst vor ein bisschen Grippe hast“, lese ich hin und wieder. „Ja“, will ich dann schreien „du inhumane Menschheit, ich will dich fliehen, eine Einöde nehme mich auf, ganz eseliert will ich sein!“

Doch so ganz stimmt es nicht. Denn ich will schon raus. Raus auf die Bühne zum Beispiel. „Nein, Menschheit, du sollst mich nicht verlieren. Appetit is das zarte Band, welches mich mit dir verkettet, welches mich alle Tag‘ drei – vier Mal mahnt, daß ich mich der Gesellschaft nicht entreißen darf.“ Und mein Appetit auf Theater ist groß. Zumal mich dieses Theaterstück (eigentlich ist es eine szenische Lesung) kein bisschen in meiner Esolation stört. Denn wir spielen mit Abstand – und mit Hygienekonzept. Damit sich Spieler und Zuschauer sicher fühlen können. Entspannt, locker und gut unterhalten.

PS: Wer waren noch gleich „Las Ketchup“? Bittesehr:

Aserejé, ja deje tejebe tude jebere
Sebiunouba majabi an de bugui an de buididipí

Gern geschehen.

 

Aus dem Ärmel

He, ihr!

Ihr, mit der schönen Schrift, euch meine ich! Ihr kennt das, oder? Wann immer es eine Karte zu schreiben gibt, seid ihr dran. „Würdest du das machen? Du hast so eine schöne Schrift.“ Klar macht ihr das. Ihr könnt es, ihr wollt es, ihr macht es.

Oder diejenigen von euch, die gut im Organisieren sind: „Wer würde denn den Ausflug organisieren? Würdest du? Du machst das immer so gut.“ Klar macht ihr das. Ihr könnt es, ihr wollt es, ihr macht es. Selbstverständlich.

Ich kann gut Theaterstücke schreiben. Und wenn es darum geht, für ein neues Theaterprojekt mal was aufs Papier/auf die Bühne zu bringen, bin ich in meinem Element. Szenen für runde Geburtstage? Die Umsetzung einer Ballade für YouTube? Die Bearbeitung eines verstaubten Stücks? Klar doch! Seht ihr mich streberhaft die Hand heben und schnipsen? Jawohl, schnipsen! Hier, Frau Lehrerin, ich weiß was!

Mir ist bewusst, dass ich mich ab und zu ein wenig aufdränge… so sehr, dass für andere der Eindruck entstehen muss, dass ich jederzeit in der Lage bin, eine Szene aus dem Ärmel zu schütteln. „Schreibst du uns da was? Dir fällt schon was ein.“ Klar schreibe ich. Ich kann es, ich will es, ich schüttle die Ärmel. Manchmal fällt einfach so was raus. Meistens muss ich aber dran ziehen. Und das dauert. Es kostet Zeit und Kraft und Nerven. Und dann bereue ich ein klein wenig, dass ich immer so vorlaut rumschnipse. Derzeit ziehe ich gewaltig an einer Theateridee für eine kleine Produktion im Spätsommer. Und was soll ich sagen: Es ist verkeilt. Die Zeit drängt. Ich bejammere mich. „Oh, würde doch jemandem auffallen, wie hart das ist! Mein Talent ist kein Talent – es ist ein Fluch!“ (Dramatische Verzweiflungsgeste hier gedanklich einfügen)

Genau wie sich die Organisationstalente unter euch manchmal denken: „Warum muss das jetzt eigentlich ausgerechnet ich planen?“ Oder die mit der schönen Schrift nach der x-ten Karte aufstöhnen, die Hand ausschütteln und laut verkünden, dass es auf diesem Planeten wohl noch andere geben muss, die in Schönschrift aufgepasst haben.

Doch nach all den Schmerzen, der Jammerei und den verlorenen Nerven sind wir beim nächsten Mal doch wieder mit dabei. Schnipsen, schreiben, organisieren. Weil wir es können. Und mögen. Aber es ist nicht selbstverständlich.

Deshalb an dieser Stelle: Liebe Schönschreiberinnen, Organisatorinnen, Bäckerinnen, Buchhaltungsratgeberinnen, Korrekturleserinnen* und anderweitig talentierte Menschen in meinem Umfeld – Danke! Und jetzt: Weitermachen! Ich muss dann auch mal – Ärmel schütteln.

* liebe männliche Leser, ihr seid selbstverständlich nicht minder talentiert und der Einfachheit halber hier einfach mitgemeint.

 

 

Einfach annehmen

Auf der Theaterbühne kannst du sein was du willst: Ein mordendes Monstrum in Pink, ein spießiges Hausmütterchen das sich aus Langeweile mit Zombies unterhält, ein Mannweib mit einer Leidenschaft für romantische Musicals. Wenn du es richtig machst, wird dir das Publikum begeistert folgen, die Zuschauer werden dir alles glauben, nichts wird ihnen unnormal erscheinen.

Eure Schlussfolgerung ist richtig: Es ist November, ich spiele wieder Theater (Genaueres findet ihr hier). Meine Rolle ist diesmal die einer strengen, überkorrekten, ganz und gar unbayrischen Männerhasserin. Klingt gar nicht nach mir? Das ist ja das Schöne.  Der Charakter ist in der ursprünglichen Fassung für einen Mann geschrieben. oisAus Männermangel – wie bei vielen Laienbühnen – muss den Job eine Frau übernehmen. Und um nicht falsch verstanden zu werden: Ich spiele keinen Mann – sondern die Rolle ist jetzt weiblich. Ich habe mir die Rolle zurechtgestutzt und an die Charaktereigenschaften angeglichen, die ich ihr gerne geben möchte. Nur so habe ich eine Chance, die Leute zu überzeugen meine Rolle so hinzunehmen wie sie nunmal ist. Ich denke, das klappt ganz gut – wenn man den bisherigen Reaktionen des Publikums glaubt.

Und während ich meine Männerrolle zur Frauenrolle umbastle, begegne ich in meinem schnöden Alltag Menschen, deren Realität es ist, männlich zu weiblich zu machen – oder umgekehrt (ich entschuldige mich für die flapsige Formulierung – ich ahne, dass es weit komplizierter ist als das). Da ist diese Frau, die vor einigen Jahren noch ausgesehen hat wie ein Junge. Da ist diese Person, die sich die Brüste abbindet, weil sie mehr Junge sein möchte als Mädchen. Da ist dieses Kind, das seinen Jungennamen nicht mehr tragen möchte und gerne in Kleidern herumläuft.

Und obwohl diese Menschen ganz sie selbst sind und sich nicht verstellen, wie ich es auf der Bühne tue, lässt sich hier „das Publikum“ nicht zu Begeisterungsstürmen hinreißen. Hier folgen „die Zuschauer“ den Charakteren nicht. Sie nehmen eine Abweichung von „der Norm“ ungern hin. Aber warum ist das so? Hängt es schon wieder mit den Schubladen zusammen, in die wir Menschen andere Menschen stecken, um uns nicht zu überfordern? Wahrscheinlich. Und wahrscheinlich ist es auch problematisch, dass diese „nicht der Norm entsprechenden“ Menschen im echten Leben stehen – nicht auf der Bühne. Man kann sie nicht im Theater zurücklassen. Man muss sich mit ihnen beschäftigen.

Oder vielleicht sollte man sich stattdessen besser mit sich selbst beschäftigen? Sein Gehirn ausmisten und neue Schubladen schaffen. Gleich neben der für skurrile Theatercharaktere könnte dann vielleicht eine sein mit der Aufschrift:  Nicht genau einzuordnen – aber muss ja nicht sein. Mensch.

 

Loslassen einmal – nochmal

Regisseure und Eltern haben ja einiges gemeinsam. Sie müssen sagen wo’s langgeht, müssen trösten und motivieren und – wenn die Zeit gekommen ist – bleibt ihnen nichts anderes übrig, als den Dingen ihren Lauf zu lassen.

Eigentlich kann man als Regisseur schon bei der Generalprobe nichts anderes mehr machen, als zuzusehen, zu loben und vielleicht noch einen klitzekleinen Hinweis in Sachen Lautstärke zu geben. Alles andere wäre kontraproduktiv – und ich spreche aus Erfahrung. An den Spielern so spät noch herumzukritteln schadet der Stimmung und macht eingeschlichene Fehler auch nicht wett. Nein, die Spieler müssen das machen, was sie eben machen. So gut wie möglich und im Idealfall so, wie vom Regisseur gewünscht. Wenn nicht – mei – Pech.

Das musste ich auch langsam lernen. Dass der Regisseur seine Inszenierung spätestens bei der Premiere loslassen muss. Er muss sie freigeben, im Vertrauen darauf, dass es schon gut gehen wird. So wie Eltern ihre Kinder irgendwann mal vertrauensvoll losschicken müssen.

Ich bin bei unserem aktuellen Theaterstück in einer seltsamen Situation. Denn statt wie sonst in gewohnter Position als Regisseurin oder Spielerin, assistiere ich zum ersten Mal meinem fünfzehnjährigen Sohn. Er wollte sich mal als Regisseur versuchen. Und – hey – kein Problem! Mutter hilft dir schon.

doof2Natürlich war ich nicht so naiv zu denken, wir würden nie aneinandergeraten. Und selbstverständlich sind wir das auch mal ganz gewaltig. Schließlich bin ich eine astreine Rampensau mit einem Mundwerk, das oft der Vernunft vorausgaloppiert. Und anfangs konnte ich den Drang, für mein Kind zu übernehmen nur schlecht unterdrücken. Aber mittlerweile gelingt mir das immer besser. „Frag den Regisseur“ ist mein neuer Lieblingssatz bei den Proben.

Und er antwortet. Manchmal mit Seitenblick zu mir – aber alleine. Für sein Stück verantwortlich. Ich hoffe – wenn bei der Premiere die Lichter auf der Bühne angehen – dass er dann auch loslassen kann. Und den Dingen vertrauensvoll ihren Lauf lässt.

Ich jedenfalls bin jetzt schon mächtig stolz.

 

Adrenalinjunkie

Ich habe Höhenangst. Echt dämliche Höhenangst. Keine 10 Pferde bringen mich in einen Hochseilgarten und nur mit Mühe erklimme ich Treppen mit Gitterstufen. Nein, ich klettere nichtmal auf eine Leiter um die Zimmerdecke zu weißeln. Wie sich Menschen freiwillig, nur mit einem Fallschirm auf dem Rücken von Klippen oder aus Flugzeugen in die Tiefe stürzen können, wird mir für immer ein Rätsel bleiben.

Und doch dachte ich mir vergangenes Wochende kurz: „Basejumper, Freeclimber und wiesiealleheißen – es sind alles armselige Schluffis gegen uns!“

Ich stehe mit den anderen Spielern hinter der Bühne, die Hand schon am Türgriff der Kulisse. Die Musik läuft. Nur noch wenige Sekunden bis zu meinem Auftritt. Der Puls klopft in meinen Ohren. Ich bin konzentriert bis in die Haarspitzen.

Dann legen wir los. Wir stürzen uns nicht in die Tiefe, sondern auf die Bühne. Haben keinen Fallschirm dabei, stattdessen den Text (oh bittebitte!) im Kopf und den Willen, abzuliefern. Das Stück, das wir spielen – „Taxi Taxi“ von Ray Cooney – besteht aus schnellem Sprechen und noch schnellerem Laufen. Aus Sprüngen auf und über eine Couch, aus Tobsuchtsanfällen und absoluter Verwirrung. Kein tiefgründiges, instensives Theater mit vielschichtigen Charakteren, sondern Sport.

Ehrlich, ich mochte es zu Anfang nicht besonders. Zu viele tausendmal wiederholte Klischees, schablonenartige Rollenbilder wie aus einer anderen Zeit, zu viele Wörter, die einfach nicht über meine Lippen kommen wollten. Aber mittlerweile muss ich zugeben – es entspannt mich ungemein.

Taxi, Taxi

Foto/Bildrechte: Andrea Kugler

In diesem Stück auf der Bühne zu stehen, ist wie ein kleiner Urlaub. Ich renne, ich schreie, ich heule. Ich sage Sätze, die ich niemals sonst sagen würde. Ich meine, ich sage tatsächlich: „Das ist der Untergang des Abendlandes!“ – ausgerechnet ich! Und das ist noch lange nicht das Schrägste.

Hinterher bin ich heiser und verschwitzt – aber unglaublich gut drauf. Und zu sehen, dass unser Publikum ebenfalls erschöpft vom vielen Lachen aus dem Theater torkelt, hebt meine Laune gleich noch mehr.

Ich freue mich schon auf die nächsten Aufführungen an den kommenden vier Wochenenden. Es werden vier Urlaubstrips voller Adrenalin – nichts für Schluffis.

ungesagt – nur aufgeschrieben

Es ist unfassbar, was Lob mit einem macht! Ich bin gestern mit Lob und Liebe überschüttet worden. Und dabei bin ich doch gerade noch so verärgert gewesen – wann war das gleich nochmal?

Der Theaterspielkreis Saal an der Donau e.V. bekam gestern für seine Inszenierung des Theaterstücks „Kartoffelkathi“ den Kunst- und Kulturpreis des Landkreises Kelheim verliehen. Als Vereinsmitglied sowie als Autorin und Regisseurin des Stücks durfte ich zusammen mit unserem Vereinsvorsitzenden eine Rede halten.

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Es muss wohl auch gestern gewesen sein als ich die Rede verfasst habe, die ich eigentlich hätte halten wollen, sie aber nicht gehalten habe weil es mir unangebracht erschien. Und ungerecht den tollen Spielern und meinem Verein gegenüber. Und jetzt, wenn ich mir die Rede so ansehe, weiß ich, dass das auch ganz gut gewesen ist. Trotzdem muss das mal gesagt werden. Also, mit viel Liebe im Herzen und ganz viel Dankbarkeit –

Hier ist die Rede, die ich NICHT gehalten habe:

„Liebe Jury, ich freue mich ehrlich über diesen Preis. Und ich bin diesen vielen tollen Menschen, die dieses Stück ermöglicht haben, wahnsinnig dankbar. Aber es gibt da eine Sache, die dieses Stück betrifft, die mich umtreibt. Und die möchte ich jetzt loswerden:

Ich denke, ich war wiedereinmal nicht deutlich genug. Verstehen Sie mich bitte nicht falsch. Dieses Theaterstück ist wunderbar geworden, alle haben sich reingehängt, es war perfekt so wie es war. Und doch hätte ich es etwas anders inszenieren können. Es ärgert mich ein wenig, dass ich mich nicht getraut habe. Kurz zusammengefasst geht es doch in ‚Kartoffelkathi‘ um Folgendes: Da sind fremde Menschen in einem Lager. Vielleicht sind sie gefährlich, vielleicht einfach nur anders. Als die Hauptfigur des Stücks das Leid und die Not dieser Menschen sieht, bleibt ihr nichts anderes übrig, als zu helfen. Dabei gerät sie an Grenzen – auch an die eigenen.

Ist das eine Geschichte, die es so nur in der Vergangenheit gegeben hat? Wirklich?

Ja, ‚Kartoffelkathi‘ ist inspirert von einer Erzählung über meine Urgroßmutter aus dem Jahr 1945. Manchmal denke ich mir aber, ich hätte diesen Zusammenhang gar nicht herstellen sollen. Weil ich feststellen musste, dass viele Leute eben nur diesen Zusammenhang sehen – oder sehen wollen. ‚Kartoffelkathi‘ ist für sie ein Stück über ‚Damals‘. Und ‚Damals‘ ist vorbei. Basta.  Ist ja auch bequem: Zweiter Weltkrieg – schon schlimm. Schachtel auf – ‚Kartoffelkathi‘ rein – Schachtel zu – weitermachen.

Es ist meiner Feigheit geschuldet, dass der aktuelle Bezug nicht so durchgekommen ist, wie gedacht. Inwiefern aktueller Bezug? Gibt es da einen? Nicht nur einen.

Nur mal kurz angemerkt: In Lybien werden Flüchtlinge in Lagern misshandelt oder sogar ermordet, und in Deutschland sind tatsächlich manche der Meinung, man müsste die Boote der Flüchtlinge dort wieder hinschicken. In vielen Ländern – mit denen Deutschland notwendige wirtschaftliche Vereinbarungen hat – werden Menschenrechte mit Füßen getreten, Kritiker gegängelt und eingesperrt. Und ist Polen noch ein Rechtsstaat? Was ist mit Ungarn? Der italienische Innenminister will Sinti und Roma zählen. Der deutsche Innenminister bekommt jetzt seine Ankerzentren und wird von dort aus weiter Menschen in Krisengebiete wie Afghanistan abschieben. Die AfD sitzt im Bundestag! Auf der Straße werden Menschen aufgrund ihrer Religion oder ihrer Hautfarbe beschimpft. Reicht das erstmal?

Und die Kiste mit meiner ‚Kartoffelkathi‘ ist zu – und sie bleibt geschlossen. Preisgekrönt, wunderbar – aber geschlossen.

Nochmals vielen herzlichen Dank für diesen Preis. Und so bin ich heute ziemlich stolz und glücklich, dass unsere harte Arbeit für dieses Stück so eine tolle Würdigung erhält.  Andererseits bin ich aber auch traurig, dass die Aufforderung, die in ‚Kartoffelkathi‘ mitschwingt, so undeutlich ist, dass man sie nicht hört. Deshalb hier nochmal in laut:

Schau hin! Schau hin, wenn sie anfangen Menschen auszugrenzen! Schau hin, wenn sie sie gängeln und einsperren! Schau auf die Menschen, erkenne ihre Menschlichkeit und du wirst nicht anders können, als menschlich zu handeln.“

Raus aus der Schachtel

Es waren die perfekten Requisiten für unser Theaterstück. Wir haben Schachteln zu Türmen gestapelt, wir sind reingeklettert, haben Minnesänger und Rapper daraus hervorgeholt, sind darüber gestolpert und haben versehentlich beinahe alles Unheil der Welt entfesselt. Unsere Schachteln enthielten Texte von Schiller, Goethe und Shakespeare. Letzterer bekam sogar zwei. Unser Stück drehte sich um Sprache. Um die eigene, um alte, neue und fremde. Sprache ist das, was uns trennt und gleichzeitig auch das, was uns verbindet. Vielleicht war es ein bisschen zu romantisch gedacht, dass Liebe die Sprache ist, die weltweit verstanden wird und mit deren Hilfe wir es schaffen, Brücken zu bauen – Schachtelbrücken. Aber es war ein schönes, kurzes Stück, welches am vergangenen Wochenende trotz Fußball einige Zuschauer in unser kleines Theater lockte.

Kauderwelsch

Vom Theaterstück blieb nur noch die Schachtelbrücke übrig

Nachdem alles vorüber war habe ich mir die viel bespielte, wackelige Schachtelbrücke auf unserer Bühne noch einmal angesehen. Eigentlich – so dachte ich mir – eigentlich ist das im echten Leben gar nicht lustig mit diesen Schachteln. Niemand möchte gerne in eine Schachtel gesteckt werden. Und doch passiert das ständig. Es ist ja auch bequem, Menschen pauschal in eine Kiste zu werfen, den Deckel drauf zu machen, ein Etikett drauf zu kleben und sie zu verstauen. Das klingt nach Ordnung – und Ordnung beruhigt unseren Geist. Aber für diejenigen in der Schachtel ist es eher beunruhigend.

Ich sitze des öfteren in Schachteln rum. Schachteln, auf denen wahlweise „Gutmensch“ steht, oder „Besserwisser“, oder „Labertasche“, „Ökotussi“, „Esoteriktante“ (das ist der absolute Horror!) oder „hysterische Diva“. Wahrschenlich ist die Liste beliebig erweiterbar. Und bis auf die Esoteriktante kann ich mit fast allem leben.

Was ist aber mit den Menschen, die in Schachteln sitzen, in denen einfach aus populistsichen Gründen alles mögliche zusammengeschmissen wird? Ich habe miterlebt, wie viele viele Menschen, mit unterschiedlichsten Nöten und Geschichten in eine Kiste geworfen worden sind. Auf dieser Schachtel stand vor ein paar Jahren „Asylbewerber“ oder „Flüchtlinge“. Sie war offen und wir haben uns bemüht jeden einzeln zu betrachten, seine Geschichte zu kennen, nicht vorschnell zu urteilen. Jetzt ist die Schachtel fest verschlossen und auf ihrem Deckel steht „Kriminelle Asylschmarotzer – Gefährder und Terroristen! Nicht öffnen! Nicht integrieren!“ Und man will diese Schachtel nicht einmal irgendwo verstauen. Man will sie lieber loswerden. Ins Meer schmeißen.

Wann ist das passiert? Wann haben wir aufgehört, die Menschen einzeln zu betrachen? Weil wir überfordert waren und sich unser Geist nach Ruhe gesehnt hat? Vielleicht. Vielleicht auch, weil Andere unsere Überforderung ausnutzen, um an die Macht zu kommen oder an der Macht zu bleiben. Sie machen uns Angst vor dieser riesigen, gefährlichen Kiste, in denen neben Kriminellen und Terroristen auch so viele Menschen sitzen, die da eigentlich gar nichts verloren haben. Und die kommen da so schnell auch nicht mehr raus (hier schließt sich über mir die Schachtel mit dem Etikett „Linksgrünversiffte Schwarzmalerei“).

Ich wünschte, ich könnte diese Schachteln alle öffnen. Und in meiner romantischen Vorstellung einen Batzen Liebe darüber ausgießen. Steckt mich ruhig in die Schachtel „naive Träumerin“ – aber Liebe ist die Sprache, die alle verstehen. Und davon bringt mich keiner ab.

Schwer entflammbar

Der Satz, den absolut keine Rockband zum Publikum sagen will ist: „Kommt doch alle mal ein Stück weiter nach vorne.“ Ich weiß nicht, ob das anderswo auch gesagt wird – in der Kleinstadt meiner Wahl ist das bei jedem Rockkonzert so. Bei wirklich jedem. In diesem Satz liegt so viel Verzweiflung, dass ich aus lauter Mitleid schon einen Hopser nach vorne machen will – ganz unabhängig davon, ob mir die Musik dieser Band gefällt. Meistens mache ich es aber wie alle anderen Konzertbesucher und bleibe stehen. Hier in der Kleinstadt lassen wir uns nicht so schnell um den Finger wickeln, denke ich und habe gleich darauf noch ein wenig mehr Mitleid.

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Blackout Problems auf dem JUKUU in Kelheim

Uns Niederbayern sagt man ohnehin schon eine grantige, schweigsame (Gerücht!), Distanziertheit nach. In diesem speziellen Städtchen kommt noch eine gehörige Portion Skepsis und Trägheit hinzu. Erst einmal schauen. Nicht gleich alles gut finden. Wir sind schwer entflammbar und eine echte Herausforderung für alle, die auf der Bühne stehen und uns ihr Bestes geben: Ihre Leidenschaft für die Musik, ihre Gedanken in ihren Texten – keinen Fehler machen, Lampenfieber, Freiheit.

So geht es auch mir, wenn ich Theater spiele oder – aktuell – ein Theaterstück inszeniere. IMG-20180502-WA0003Wir arbeiten hart, geben unser Bestes und hoffen inständig, dass es ankommt, dass wir das Publikum erreichen, dass sie mitgehen, dass wir sie bewegen. Und wir sind uns niemals sicher, dass wir das auch schaffen.

Und während ich so auf dem Rockfestival in meiner niederbayrischen Heimatstadt stehe und die nächste Band sagen höre: „Hier vor der Bühne ist noch so viel Platz! Wie wäre es, wenn ihr jetzt alle mal einen Schritt nach vorne macht?“, sehe ich mir das Publikum genauer an. Sie lachen, sie wippen sachte mit, sie nippen an ihrem Bier und nicken zustimmend. Ein niederbayrischer Code für: Nicht schlecht. Ganz gut sogar. Es gefällt. Auch wenn das Publikum eher innerlich feiert – es feiert. Um der Leute Willen, die sich auf der Bühne leidenschaftlich abrackern, könnten wir das aber ruhig auch mal ein bisschen deutlicher machen. Burn mother%$§!?&, burn!