Das war sie jetzt also – meine erste richtige Großdemo. „#ausgehetzt – Gemeinsam gegen die Politik der Angst!“ in München. Und zusammengefasst kann ich sagen: Sie war nass. Extrem nass.
Tatsächlich musste ich 40 Jahre alt werden, um mich mit einem Schild in der Hand in einem Demonstrationszug wiederzufinden. Schon bei den Vorbereitungen bin ich extrem aufgeregt. Was nimmt man mit auf eine Demo? Was pack‘ ich ein? Pflastersteine? (nein, Scherz!) Mein Mann amüsiert sich ein wenig darüber aber er ist froh, dass ich hingehe. Wenn auch nicht ganz klar ist, warum genau (schließlich sind es vier Demos in einer – mit vier verschiedenen Schwerpunkten) . „Weil wegen der Flüchtlingspolitik und Seenotrettung und Verrohung… und überhaupt!“, gebe ich ihm zurAntwort. „Vielleicht auch nur, um dein Ego zu steicheln. Denn wenn du ehrlich bist, weißt du, dass das ansonsten niemandem was bringt“, flüstert eine fiese Stimme in meinem Hinterkopf. „Kann schon sein“, maule ich zurück. „Na und?“
Im Zug nach München höre ich den Demonstrationserfahrungen meiner Mitreisenden zu. Wackersdorf, Lichterkette, Friedensdemo, Polizeiaufgabengesetz – eine lange, beeindruckende Liste. „Was hat dieser Protest eigentlich gebracht?“, frage ich, weil die fiese Stimme einfach nicht schweigen will. „Keine Ahnung, ob das was gebracht hat, oder ob das nicht ohnehin so gekommen wär.'“ Die fiese Stimme kichert. Aber dann: „Doch. Ohne Demonstrationen hätte sich nichts bewegt.“
Kurz bevor wir in München ankommen, beginnen sich Menschen im Abteil ihr Antifa-T-Shirt überzustreifen. „Na dann…“, denke ich und steige aus. Mal sehen, was das wird. Es fängt an zu regnen. Zu Schütten. Hunde und Katzen zu regnen. Trotz Regenjacke und netter Aufnahme unter einem Schirm bin ich binnen Minuten komplett durchnässt. Dann geht es los. Eingekeilt zwischen einer Sambaband und einem Techno-Lastwagen fühle ich mich eher wie auf der Loveparade. Und viele Menschen um mich herum verhalten sich auch so. Sie singen und tanzen, sind irre bunt und gut drauf. Die Schilder, die sie in die Luft halten sind witzig. Mein Schild ist durchweicht. Ich bin durchweicht.
Ich friere, ich bin hungrig. Aber ich fühle mich nicht schlecht. Im Gegenteil. Ich habe das Gefühl mit irrsinnig vielen Menschen zu laufen. Überall überall überall sind Menschen mit Plakaten. Einige Fenster und Autos auf dem Weg sind geschmückt mit „Refugees welcome“ (Auch wenn mir die Autobesitzer schon ein wenig leidtun – bei so vielen Menschen mit Regenschirmen. Hoffentlich gibt das keine Kratzer!), an den Seiten des Demonstrationszugs stehen offensichtlich entspannte Polizisten. Und wer auch immer ein Problem mit der Polizei haben mag – ich habe auch heute keins. Den Spruch des Tages liefert ein Polizist, nachdem sich ein älterer Herr bei ihm über irgendetwas aufgeregte. „Mei, etz war alles so schee friedlich – und etz kumman Sie daher.“ Er lächelt, ich lächle mit.
Unsere Gruppe verliert kurz den Anschluss, wir gehen schneller und stoßen bei den Gewerkschaftlern wieder dazu. Sie skandieren irgendetwas – ich habe keine Ahnung was. Und ehrlich gesagt, ist mir das auch egal. Ich bin nass, mir ist kalt – so kalt, wie es einem im Juli nur sein kann und ich bin kurz davor „wann sind wir endlich dahaa?!“ zu quengeln. Man sieht es mir wohl an, denn meine Freundin meint: „Noch eine Kreuzung und dann haben wirs geschafft.“ Vorbei am Anti-Sexismus-Bus und dann einmal abbiegen in den Königsplatz. Vor uns ein offener Lieferwagen auf dem die Sozialistische Jugend Deutschlands „die Internationale“ anstimmt.
Da kommt sie dann doch durch, meine Erziehung. Aufgewachsen mit dem festen Glauben, dass die CSU in Bayern alles regelt, dass die „Sozn“ nicht ernstzunehmen sind, dass nur Lehrer und Stundenten genügend Zeit haben um die „Süddeutsche“ zu lesen, dass es sowieso keine Alternative zur CSU gibt und Demonstrieren deshalb unnütz und unanständig ist. „Die Internationale“ geht nicht. Sie klingt nach Sozialismus und DDR-Regime. Deswegen bin ich aber nicht hier. Ich bin hier wegen der Flüchtlingspolitik und Seenotrettung und Verrohung… und überhaupt! „Und weil du dich selbst so gerne als guten Menschen hinstellen willst. Hältst du jetzt echt die Internationale nicht aus? Anscheinend bist du doch nicht so tolerant, wie du gerne wärst“, ergänzt die Stimme in meinem Hinterkopf böse. Ich ignoriere sie und sehe mich auf dem Königsplatz um. So viele Menschen. So viele Fahnen. So viel Wille. Und ich mittendrin. Das macht Eindruck. Mächtig.
Auf der Heimfahrt dann auf dem Smartphone die Suche nach ersten Teilnehmerzahlen. 20 000 sagt die Polizei. 50 000 sagen die Veranstalter. Ich habe einen Mann beobachtet, der von einem erhöhten Platz aus versucht hat, die Leute zu zählen – das ist völlig unmöglich. Über 20 000 sagt die Tagesschau dann am Abend. Ich sitze mit dicken Socken, Wolldecke und Belohnungsbier völlig erschöpft auf der Couch. 20 Sekunden in den Nachrichten. „Das war schon alles?“, wundert sich mein Mann. Ich zucke nur mit den Schultern. „Enttäuscht, was?“, ätzt die Stimme in meinem Hinterkopf. „Jetzt siehst du mal, was das alles gebracht hat. Nämlich nichts. Den ganzen Tag bist du in der Scheißkälte auf den Beinen und hast wahrscheinlich morgen ne fette Blasenentzündung – nur wegen deiner blöden Eitelkeit.“
Nein. Nein, Eitelkeit war das gestern nicht. Aber ich habe es trotzdem wegen mir gemacht. Weil ich ein Teil dieses demokratischen Staates bin und ich deshalb überzeugt bin, dass die Macht von der Bevölkerung ausgehen sollte. Wenn mir etwas nicht passt an der Politik im Land (und mir passt eine Menge nicht. Nicht nur Flüchtlingspolitik und Seenotrettung und Verrohung… und überhaupt!), dann habe ich die Möglichkeit daran etwas zu ändern indem ich die Werkzeuge nutze, die mir zur Verfügung stehen. Wahlen sind so ein Werkzeug, oder Petitionen. Ich kann versuchen, die Menschen in meinem Umfeld zu überzeugen, dass sich was ändern muss (und die Menschen in meinem Umfeld sind mit mir wirklich leidgeprüft). Ich kann zu Demonstrationen gehen. Hab ich hiermit ausprobiert. Macht mich nicht zu einem besseren Menschen. Aber hat sich gut angefühlt – nass, tropfnass – aber gut. Ganz persönlich.