Hautfarben

Da ist dieser Bekannte von mir – er ist verheiratet, hat drei Kinder, arbeitet als Handwerker und spielt unglaublich gerne Fußball.

Da ist dieser sehr gläubige Familienvater, der gerne Geschichten schreibt und mit mir Theater spielt.

Da ist dieser kluge, lustige, Kette rauchende Kellner.

Da ist dieser Straßenarbeiter mit dem nervigen Putzfimmel und einer glühenden Verehrung für Donald Trump.

Da ist dieser Ingenieur, der sensationell gut Musik macht und singt und an dessen Akzent man erkennt, dass er nicht in Niederbayern aufgewachsen ist.

Welche Hautfarbe haben sie?

Weiß, oder? Oder nicht?

Der Ehrlichkeit halber muss man sagen – es ist sehr wahrscheinlich, dass diese Männer fast alle weiß sind. Ich lebe in einer niederbayrischen Kleinstadt – nicht in einer multikulturellen Metropole. Hier sind Menschen mit dunkler Hautfarbe eine kleine Minderheit. Dementsprechend ist auch mein Bekanntenkreis überwiegend weiß.

Genau wie bei vielen anderen in meinem Umfeld sehe ich schwarze Menschen vor allem im Fernsehen, beim Profifußball, in der Politik oder ich höre ihre Musik – weit weg. Ohne Kontakt. Aber vorurteilsfrei.

Diese Freiheit von Vorurteilen lässt sich bei manchen aber schwer mit in den Alltag nehmen. Eben weil die Realität in der Kleinstadt eine andere ist. Dunkelhäutige Menschen sind selten. Selten ist anders. Anders ist… anders. Gegen diese Scheu vor dem Anderen lässt sich schwer was machen.

Und so kommt es zum Beispiel immer noch vor, dass Leute meinen, es sei doch gar nicht schlimm, wenn man in Bayern zu einem „N….“ eben „N….“ sagen würde. Das sei halt bei uns so. Wäre doch nicht böse gemeint.

Lasst mich an dieser Stelle ein für allemal klarstellen: NEIN.

Diese Leute würden Menschen mit Behinderung niemals als „Spasten“ bezeichnen, sie würden ihren türkischstämmigen Automechaniker niemals „Kanake“ nennen und über Frauen nicht pauschal als „Schlampen“ reden. Das wäre ja schließlich grob unhöflich. Aber „N….“ geht? Echt? „Das haben wir schon immer so gesagt“, „das ist ja nicht so schlimm“. Sitzt ja auch keiner mit am Tisch. Und man kennt auch keinen, bei dem man sich vorstellen müsste, wie er reagieren würde, säße er mit am Tisch. Und weil man in einer niederbayrischen Kleinstadt in einem ziemlich weißen Umfeld lebt, wird sich daran auch nicht so schnell etwas ändern.

20200605_091330Es ist nicht leicht Vorurteile abzubauen, wenn niemand da ist, der einem zeigt, dass die Vorurteile Bullshit sind. Der sich mit an den Tisch setzt.

Deshalb bleibt uns nur die Theorie. Lesen, Videos zum Thema ansehen, sowas eben. Und ein paar Grundsätze. Die heißen:

Es kommt nicht darauf an, wie jemand aussieht oder woher er kommt, sondern wie er ist. Deshalb verzichte ich auch darauf, euch zu sagen, welche Hautfarbe meine oben erwähnten Bekannten haben. Es ist schlicht egal.

Respektiert eure Mitmenschen.

Sad’s freindlich!

Let love rule.

#noracism

Versteckt im Internet

„Bei welcher Partei ist der? Ach, die reißen bei der Wahl doch sowieso nichts. Die sind viel zu klein. Der ist doch die ganze Aufregung nicht wert.“

Doch, das ist er. Rechte Hetzer sind die Aufregung immer wert. Egal welcher Partei sie angehören.

„Der? Ein Rechter? Wie kommst du denn da drauf?

Nun, ich habe Internet.

In Zeiten von Social Media präsentieren sich Kommunalpolitiker – und solche die es werden wollen – genau wie ihre Bundes- und Landeskollegen gerne auf allen möglichen Plattformen im Internet. Und manchmal bekommt man da einen ganz erstaunlichen Einblick: Da wird hier mal der Klimawandel geleugnet, dort gegen Flüchtlinge gehetzt (Verzeihung, das heißt „asylkritischer Beitrag“) und wenn die angestachelte Leserschaft munter mitmacht und zum Beispiel Flüchtlinge ins Gas wünscht, oder ihnen ein „drittes Auge schießen“ möchte, dann wird das auf der eigenen Seite ganz einfach toleriert. Keine Widerworte. Hier nur mal ein Beispiel von der Facebookseite eines Kreisrats. Allerdings schon vor einiger Zeit gepostet.

(Wenn man es dann selbst nicht mehr aushält und Widerworte gibt, wird man umgehend blockiert und anschließend beschimpft) Hier aus einer anderen Kommentarspalte:

Hetze6

Klingt unglaublich? Ist aber so. Passiert nicht irgendwo in Berlin sondern genau so vor unserer kleinstädtischen Nase.

Im März stehen in Bayern Kommunalwahlen an und nach außen hin geben sich alle Kandidaten bürgernah, engagiert und harmlos. Doch es lohnt bei manchen der Blick ins Internet, um ihnen die Maske von der rassisitischen Fratze zu reißen.

Es ist alles nicht strafbar, es ist doch alles ganz harmlos. Das wird man doch noch schreiben dürfen. – Ja, darfst du (rein rechtlich). Aber dann schreib es doch auch auf deine Wahlplakate! Mach deine Menschenverachtung richtig öffentlich. Stell dich an deinen Infostand und sag: „Ja, ich bin ein Rassist – ich applaudiere, wenn Menschen im Mittelmeer ertrinken. Und jetzt wählt mich!“ Nur zu.

Was tun? Was tun.

Ich gebe es zu – als „aktiv“ in der Flüchtlingshilfe kann ich mich nicht mehr bezeichnen. Eigentlich schon seit einem Jahr nicht mehr. Die Asylbewerber, um die ich mich gekümmert habe sind selbstständig und flügge geworden – und ich bin nicht traurig darüber. Im Gegenteil. Schließlich ist es ein gutes Zeichen, dass sie jetzt ohne Hilfe zurechtkommen. Intergration, you know?

Was nicht heißen soll, dass sämtliche Arbeit erledigt wäre. Es gibt nach wie vor viel zu tun. Da sind diese vielen Menschen aus Afghanistan – diesem ach so sicheren Land – die immer tiefer in die Verzweiflung rutschen, weil man sie hier einfach nicht haben will. Aber wie ich da helfen kann… ich weiß es noch nicht.

In den vergangenen vier Jahren haben die Aufgaben mich gefunden. Ob auf dem Fahrrad an meinem Laden vorbeirollend, mit einem Brief vom Jobcenter in der Hand oder in Form einer Bürgerversammlung – zack – plötzlich war ich mittendrin.

Vorerst bin ich aber wieder ein wenig außen vor. Und mache das, was gerade möglich ist. Spenden sammeln zum Beispiel.

Teile meines Kunstwerks FluchtgrundII habe ich gegen Spende abgegeben.

Fluchtgrund 2

Fluchtgrund II

15 von 17 Schalen sind jetzt in anderen Händen. Und ich kann insgesamt 200€ an das Bündnis für Menschenwürde Kelheim übergeben. Beim Bündnis für Menschenwürde engagieren sich die Vereinsmitglieder für das Gelingen von Integration. Was wir (ich bin da Mitglied) aber noch viel dringender brauchen als Geld, sind Leute, die sich engagieren möchten. Also: Vielen Dank, liebe Kunden für eure Spende – und falls ihr nach einer eherenamtlichen Tätigkeit sucht, die euch findet. Hier ist sie! Meldet euch!

24 – Ja, doch.

24

Mein Freund Mohamed und ich saßen im Auto und unterhielten uns über Gott. Über das, was passiert, wenn wir sündigen. Wir stellten fest: Ob wir nun „Allah“ sagen oder „Gott“, ob wir nun Katholiken sind oder Muslime – unser Gott ist ein strafender Gott. Das vermittelt uns unser Glaube. Da sträubte sich plötzlich etwas ganz grundsätzlich in mir. Gott – Vater – Strafe. Das passte nicht zu meinem Verständnis von Glauben.

„Mein Gott ist eher wie ein Freund“, beschrieb ich Mohamed meine Gedanken. Jesus und ich – wir können echt viel Gutes miteinander machen. Nächstenliebe, Barmherzigkeit – das habe ich von ihm gelernt. Aber manchmal, da läuft es einfach nicht. Da sind wir weit entfernt und haben überhaupt kein Verständnis füreinander. Ich könnte mich jederzeit aus der Freundschaft zurückziehen. Und ich tue es nicht. Weil ich weiß, dass man das bei solch wertvollen Freundschaften einfach nicht tut. Dann komme ich wieder und er rollt mit den Augen und nickt. Er kennt mich eben.

„Machst du es dir da nicht sehr einfach?“, fragte mich Mohamed. Ja. Ich mache es mir einfach. Und ich weiß nicht genau, ob ich es im Sinne der Kirche „richtig“ mache. Aber ich kann mit diesem Jesus ziemlich gut leben. Und darauf kommt es für mich auch an. Dass er ein Teil dieses Lebens ist, ein Teil des Netzes, das mich trägt.

Heute feiere ich seinen Geburtstag. Frohe Weihnachten!

 

Versifft

Zu seinen wilden Zeiten, fuhr mein Mann ein Auto, das über und über mit Aufklebern bedeckt war – an den Stellen, an denen man nicht nach draußen sehen musste, versteht sich. Es wird gemunkelt, dass dieses Auto nur durch diese Aufkleber zusammengehalten wurde – hätte man einen entfernt: Totalschaden. Aufkleber für den Zusammenhalt.

Mittlerweile fährt mein Mann ein unbeklebtes Auto – ist dabei aber selbstverständlich noch wild (hallo Schatz!) – dafür zieht etwas anderes Aufkleber, Flugblätter und Plakate magisch an: Mein Laden.

2014 kam das erste kleine Schild in die Tür. „Refugees welcome“ und „réfugiés sont bienvenus“ stand darauf (ersetzt durch ein „Kelheim ist bunt. Refugees are welcome“ vor einem Jahr). Hinzu kamen die welcome-Feder, ein Aufkleber der GRÜNEN, einer von ProAsyl und einer für Integration und Inklusion. Ein offener Brief mit dem Thema „Integration statt Abschiebung“ hängt über dem Plakat mit dem Aufruf zur Demo und im Schaufenster werbe ich um eine Spende für die Flüchtlingshilfe.

Derzeit ist mein Laden so vollgeklebt und vollgehangen, dass es selbt dem arglos vorbeieilenden Passanten sofort ins Gesicht springen muss: Das hier ist der Platz eines „linksgrünversifften Gutmenschen“. Tritt ein – woher du auch immer kommst – kauf Keramik oder Holzsachen ein und lass am besten auch noch ein paar Euro für die Flüchtlingshilfe da.

Ich finde das eigentlich ganz gut so. Doch neulich kam eine Kundin – zufälligerweise engagiert in der Flüchtlingshilfe Landshut – die mir zu so viel Mut gratulierte. „Wir brauchen das. Gerade jetzt, wo alles so auseinanderdriftet. Dass jemand Haltung zeigt“, meinte sie, bezahlte und ließ gleich noch eine Spende da. Mich ließ sie grübelnd zurück. Mutig?

Aufkleber6

Mein Laden zeigt schon immer wie ich bin. Auch, dass ich in den vergangenen Jahren – sagen wir mal – extremer geworden bin. Die Rassisten, ja die konnten und können gerne draußen bleiben. Alle anderen stören sich ja nicht an meinem  „linksgrünversifften“ Ladenschmuck. Dachte ich. Aber ist das immer noch so? Auch ich merke, wie alles auseinanderdriftet. „They will shoot you“, warnte mich vor Kurzem ein Bekannter mit Blick auf mein „Kelheim ist bunt“-Schildchen. Erschießen? Was? Näh. „Du weißt schon, dass da einige Leute bei dir nicht mehr kaufen werden?“, fragte mein wilder Mann. Und immer öfter höre ich durch meine dünnen Schaufensterscheiben: „Refjutschis wellkamm – so a Schmarrn!“

Was ist denn los? Ist es denn nicht mehr normal, sich gegen Rassismus auszuprechen? Und für Flüchtlingshilfe? Ist das tatsächlich extrem links? Und muss man dieses „links“ meiden?

Fakt ist, im Gegensatz zu den Aufklebern auf dem Auto meines Mannes, halten die in meinem Laden nichts zusammen. Vielleicht spalten sie ja sogar. Vielleicht trennen sie die einen von den anderen. Aber wen von wem?

Meines Erachtens sollten – so wie es gerade überall geschieht (Helene Fischer, chapeau!) – viele viele Menschen, bei allen möglichen Gelegenheiten öffentlich ausdrücken (laut, sehr laut), dass es selbstverständlich ist, kein Rassist zu sein. Dass die Mitte der Gesellschaft nicht rassistisch ist. Dass die Mitte ein friedliches Zusammenleben will, in einem demokratischen Europa. Dass ein „refugees-welcome“ immer noch gilt. Und dass man mit einem derartigen Aufkleber nicht linksversifft ist, sondern einfach nur – keine Ahnung – ein Teil dieser Mehrheit.

In meinem Laden liegen übrigens seit heute „Kein Kreuz der AfD“-Flyer der Initiative gegen Rechts Regensburg. Vermutlich brauche ich sie für meine Kunden nicht. Wer trotz oder gerade wegen meiner Aufkleber in meinen Laden kommt, der wählt die sowieso nicht.Aufkleber5

#wirsindmehr #bloggerfuerfluechtlinge #bayernbleibtbunt

 

Immer die gleiche Leier

Sommer 2014. Ich hatte gerade meine ersten, allesamt unglaublich beeindruckenden Begegnungen mit Asylbewerbern hinter mir, da fand ich mich schon in der ersten Diskussion über Flüchtlinge wieder. „Richtige Flüchtlinge“ – „Wirtschaftsflüchtlinge“. Die einen ja, wenns unbedingt sein muss – die anderen auf gar keinen Fall.

Meine Ansicht 2014: Es macht für mich keinen Unterschied, ob jemand vor Krieg und Verfolgung oder vor Hunger und Armut flieht.

Sommer 2018. Ich kann einfach nicht fassen, dass das immer noch ein Thema ist.

Meine Ansicht 2018: Es macht für mich keinen Unterschied, ob jemand vor Krieg und Verfolgung oder vor Hunger und Armut flieht.

Ehrlich, ich bin es leid die immergleichen Diskussionen zu führen. Aber ich führe sie weiter. Deshalb ist auch mein diesjähriger Beitrag zur Ausstellung der Gruppe Kunst nichts wirklich neues.

Fluchtgrund 1

Fluchtgrund I

Fluchtgrund 2

Fluchtgrund II

Aber steter Tropfen…

Die Jahresausstellung der Gruppe Kunst ist noch bis zum 2.September im Donau-Gymnasium Kelheim zu sehen.

#bloggerfuerfluechtlinge

 

Nur wegen mir

Das war sie jetzt also – meine erste richtige Großdemo. „#ausgehetzt – Gemeinsam gegen die Politik der Angst!“ in München. Und zusammengefasst kann ich sagen: Sie war nass. Extrem nass.

Tatsächlich musste ich 40 Jahre alt werden, um mich mit einem Schild in der Hand in einem Demonstrationszug wiederzufinden. Schon bei den Vorbereitungen bin ich extrem aufgeregt. Was nimmt man mit auf eine Demo? Was pack‘ ich ein? Pflastersteine? (nein, Scherz!) Mein Mann amüsiert sich ein wenig darüber aber er ist froh, dass ich hingehe. Wenn auch nicht ganz klar ist, warum genau (schließlich sind es vier Demos in einer – mit vier verschiedenen Schwerpunkten) . „Weil wegen der Flüchtlingspolitik und Seenotrettung und Verrohung… und überhaupt!“, gebe ich ihm zurAntwort. „Vielleicht auch nur, um dein Ego zu steicheln. Denn wenn du ehrlich bist, weißt du, dass das ansonsten niemandem was bringt“, flüstert eine fiese Stimme in meinem Hinterkopf. „Kann schon sein“, maule ich zurück. „Na und?“

Im Zug nach München höre ich den Demonstrationserfahrungen meiner Mitreisenden zu. Wackersdorf, Lichterkette, Friedensdemo, Polizeiaufgabengesetz – eine lange, beeindruckende Liste. „Was hat dieser Protest eigentlich gebracht?“, frage ich, weil die fiese Stimme einfach nicht schweigen will. „Keine Ahnung, ob das was gebracht hat, oder ob das nicht ohnehin so gekommen wär.'“ Die fiese Stimme kichert. Aber dann: „Doch. Ohne Demonstrationen hätte sich nichts bewegt.“

Kurz bevor wir in München ankommen, beginnen sich Menschen im Abteil ihr Antifa-T-Shirt überzustreifen. „Na dann…“, denke ich und steige aus. Mal sehen, was das wird. Es fängt an zu regnen. Zu Schütten. Hunde und Katzen zu regnen. Trotz Regenjacke und netter Aufnahme unter einem Schirm bin ich binnen Minuten komplett durchnässt. Dann geht es los. Eingekeilt zwischen einer Sambaband und einem Techno-Lastwagen fühle ich mich eher wie auf der Loveparade. Und viele Menschen um mich herum verhalten sich auch so. Sie singen und tanzen, sind irre bunt und gut drauf. Die Schilder, die sie in die Luft halten sind witzig. Mein Schild ist durchweicht. Ich bin durchweicht. P1030997Ich friere, ich bin hungrig. Aber ich fühle mich nicht schlecht. Im Gegenteil. Ich habe das Gefühl mit irrsinnig vielen Menschen zu laufen. Überall überall überall sind Menschen mit Plakaten. Einige Fenster und Autos auf dem Weg sind geschmückt mit „Refugees welcome“ (Auch wenn mir die Autobesitzer schon ein wenig leidtun – bei so vielen Menschen mit Regenschirmen. Hoffentlich gibt das keine Kratzer!), an den Seiten des Demonstrationszugs stehen offensichtlich entspannte Polizisten. Und wer auch immer ein Problem mit der Polizei haben mag – ich habe auch heute keins. Den Spruch des Tages liefert ein Polizist, nachdem sich ein älterer Herr bei ihm über irgendetwas aufgeregte. „Mei, etz war alles so schee friedlich – und etz kumman Sie daher.“ Er lächelt, ich lächle mit.

Unsere Gruppe verliert kurz den Anschluss, wir gehen schneller und stoßen bei den Gewerkschaftlern wieder dazu. Sie skandieren irgendetwas – ich habe keine Ahnung was. Und ehrlich gesagt, ist mir das auch egal. Ich bin nass, mir ist kalt – so kalt, wie es einem im Juli nur sein kann und ich bin kurz davor „wann sind wir endlich dahaa?!“ zu quengeln. Man sieht es mir wohl an, denn meine Freundin meint: „Noch eine Kreuzung und dann haben wirs geschafft.“ Vorbei am Anti-Sexismus-Bus und dann einmal abbiegen in den Königsplatz. Vor uns ein offener Lieferwagen auf dem die Sozialistische Jugend Deutschlands „die Internationale“ anstimmt.

Da kommt sie dann doch durch, meine Erziehung. Aufgewachsen mit dem festen Glauben, dass die CSU in Bayern alles regelt, dass die „Sozn“ nicht ernstzunehmen sind, dass nur Lehrer und Stundenten genügend Zeit haben um die „Süddeutsche“ zu lesen, dass es sowieso keine Alternative zur CSU gibt und Demonstrieren deshalb unnütz und unanständig ist. „Die Internationale“ geht nicht. Sie klingt nach Sozialismus und DDR-Regime. Deswegen bin ich aber nicht hier. Ich bin hier wegen der Flüchtlingspolitik und Seenotrettung und Verrohung… und überhaupt! „Und weil du dich selbst so gerne als guten Menschen hinstellen willst. Hältst du jetzt echt die Internationale nicht aus? Anscheinend bist du doch nicht so tolerant, wie du gerne wärst“, ergänzt die Stimme in meinem Hinterkopf böse. Ich ignoriere sie und sehe mich auf dem Königsplatz um. So viele Menschen. So viele Fahnen. So viel Wille. Und ich mittendrin. Das macht Eindruck. Mächtig.20180722_160323Auf der Heimfahrt dann auf dem Smartphone die Suche nach ersten Teilnehmerzahlen. 20 000 sagt die Polizei. 50 000 sagen die Veranstalter. Ich habe einen Mann beobachtet, der von einem erhöhten Platz aus versucht hat, die Leute zu zählen – das ist völlig unmöglich. Über 20 000 sagt die Tagesschau dann am Abend. Ich sitze mit dicken Socken, Wolldecke und Belohnungsbier völlig erschöpft auf der Couch. 20 Sekunden in den Nachrichten. „Das war schon alles?“, wundert sich mein Mann. Ich zucke nur mit den Schultern. „Enttäuscht, was?“, ätzt die Stimme in meinem Hinterkopf. „Jetzt siehst du mal, was das alles gebracht hat. Nämlich nichts. Den ganzen Tag bist du in der Scheißkälte auf den Beinen und hast wahrscheinlich morgen ne fette Blasenentzündung – nur wegen deiner blöden Eitelkeit.“

Nein. Nein, Eitelkeit war das gestern nicht. Aber ich habe es trotzdem wegen mir gemacht. Weil ich ein Teil dieses demokratischen Staates bin und ich deshalb überzeugt bin, dass die Macht von der Bevölkerung ausgehen sollte. Wenn mir etwas nicht passt an der Politik im Land (und mir passt eine Menge nicht. Nicht nur Flüchtlingspolitik und Seenotrettung und Verrohung… und überhaupt!), dann habe ich die Möglichkeit daran etwas zu ändern indem ich die Werkzeuge nutze, die mir zur Verfügung stehen. Wahlen sind so ein Werkzeug, oder Petitionen. Ich kann versuchen, die Menschen in meinem Umfeld zu überzeugen, dass sich was ändern muss (und die Menschen in meinem Umfeld sind mit mir wirklich leidgeprüft). Ich kann zu Demonstrationen gehen. Hab ich hiermit ausprobiert. Macht mich nicht zu einem besseren Menschen. Aber hat sich gut angefühlt – nass, tropfnass – aber gut. Ganz persönlich.

alles einzeln

„Wie könnt ihr denen nur helfen? Gerade ihr? Ihr Frauen?“ Der Mann, der uns bei einer Mahnwache ansprach, schaffte es gerade noch so nicht auszusprechen, dass er Asylbewerber generell für Vergewaltiger hielt – aber es wurde doch ziemlich deutlich. Und wir Frauen müssten schon einen Grund haben, warum wir uns (und ich glaube, er erwähnte auch unsere Kinder) immer wieder mit „denen“ abgäben. Wie so oft in solchen Situationen, hatte ich keine schnelle Antwort parat. „Wa..? Wäääh?“, war das, was mir über die Lippen kam.

Das war irgendwann letzten Herbst. Und heute bin ich wieder mit einer ähnlichen Situation konfrontiert. „Du wirst doch einsehen, dass man nicht alle Menschen Afrikas nach Deutschland holen kann.“ „Kriminelle Ausländer muss man doch abschieben dürfen!“ „Wenn einer woanders registriert ist, dann hat der bei uns doch nichts zu suchen.“ „Wieso jemanden reinlassen, der eh keine Chance hat zu bleiben?“ „Wieso willst du das nicht kapieren?“

Die Antwort könnte hier wieder ein unverständliches Gestammel sein – aber diesmal will ich mir Mühe geben. Denn die Antwort ist eigentlich ganz einfach: Weil ich zu allen diesen Beispielen eine Geschichte kenne.

Ich kenne Menschen, die in lybischen Lagern gewesen sind und dort misshandelt wurden. Ich kenne jemanden, der bei der Überfahrt übers Mittelmeer beinahe gestorben wäre. Ich habe das Gesicht eines jungen Mannes vor Augen, der nach Italien in die Obdachlosigkeit abgeschoben wurde, weil er nunmal dort registriert war. Ich kenne sicherlich Leute, die gelogen haben, um nach Deutschland zu kommen. Ich weiß von Menschen, die sich eher das Leben nehmen würden, als zurück zu gehen. „Illegale“, Untergetauchte, Verschwundene – auch dazu habe ich Gesichter. Ich kenne Idioten, die sich im Suff geprügelt haben. Und weiß von Jungs, die hier zu Recht eine Strafe absitzen mussten, weil sie sich grob daneben benommen haben. Ich hatte mit Frauen zu tun, die kaum hinter ihrem Mann hervorgeschaut haben und mit welchen, die sich in Deutschland erst einmal das Kopftuch von den Haaren gerissen haben. Da ist dieser träge Mann, der sich einfach nicht aufraffen kann zu arbeiten und der, der zwei Jobs hat. Da ist der Bauingenieur, die Lehrerin, der Student, der Analphabet, der Trinker, der Tagelöhner. Da ist der, der mir unheimlich ist. Da sind die, die mit mir Theater spielen.

Die BILD titelte am 21.6.2018: „Ich habe 40 Menschen ermordet und will Asyl“

Und vielleicht kenne ich auch da jemanden. Weil in Kriegen die einen die anderen umbringen.

schwarz und weiß

Für mich haben sie alle nur eines gemeinsam – das Recht, hier um Asyl zu bitten.

Denn ich kann das einfach nicht pauschal sehen. Und es kotzt mich an (entschuldigt die Formulierung), wenn in der öffentlichen Wahrnehmung aus Menschen abstrakte Begriffe gemacht werden. „Flüchtlingswelle“, „Asyltourismus“, „Illegale“, „Gefährder“, „Nichtsnutze“, „Vergewaltiger“.

Es ist doch so. Wenn man jemanden kennenlernt, seine vielen verschiedenen Facetten entdeckt und versucht ihn zu verstehen, dann wird es unmöglich pauschal zu urteilen.

Das gilt übrigens auch für Rassisten. Ich übe mich in Differenzierung. Es gibt sicher vielfältige (allesamt beknackte) Gründe, andere aufgrund ihrer Herkunft abzulehnen. Aber: Verhältst du dich rassistisch, verhältst du dich wie ein Arschloch. Und weil das so ist, ist mir auch das Schimpfwort wurscht. Basta.

Raus aus der Schachtel

Es waren die perfekten Requisiten für unser Theaterstück. Wir haben Schachteln zu Türmen gestapelt, wir sind reingeklettert, haben Minnesänger und Rapper daraus hervorgeholt, sind darüber gestolpert und haben versehentlich beinahe alles Unheil der Welt entfesselt. Unsere Schachteln enthielten Texte von Schiller, Goethe und Shakespeare. Letzterer bekam sogar zwei. Unser Stück drehte sich um Sprache. Um die eigene, um alte, neue und fremde. Sprache ist das, was uns trennt und gleichzeitig auch das, was uns verbindet. Vielleicht war es ein bisschen zu romantisch gedacht, dass Liebe die Sprache ist, die weltweit verstanden wird und mit deren Hilfe wir es schaffen, Brücken zu bauen – Schachtelbrücken. Aber es war ein schönes, kurzes Stück, welches am vergangenen Wochenende trotz Fußball einige Zuschauer in unser kleines Theater lockte.

Kauderwelsch

Vom Theaterstück blieb nur noch die Schachtelbrücke übrig

Nachdem alles vorüber war habe ich mir die viel bespielte, wackelige Schachtelbrücke auf unserer Bühne noch einmal angesehen. Eigentlich – so dachte ich mir – eigentlich ist das im echten Leben gar nicht lustig mit diesen Schachteln. Niemand möchte gerne in eine Schachtel gesteckt werden. Und doch passiert das ständig. Es ist ja auch bequem, Menschen pauschal in eine Kiste zu werfen, den Deckel drauf zu machen, ein Etikett drauf zu kleben und sie zu verstauen. Das klingt nach Ordnung – und Ordnung beruhigt unseren Geist. Aber für diejenigen in der Schachtel ist es eher beunruhigend.

Ich sitze des öfteren in Schachteln rum. Schachteln, auf denen wahlweise „Gutmensch“ steht, oder „Besserwisser“, oder „Labertasche“, „Ökotussi“, „Esoteriktante“ (das ist der absolute Horror!) oder „hysterische Diva“. Wahrschenlich ist die Liste beliebig erweiterbar. Und bis auf die Esoteriktante kann ich mit fast allem leben.

Was ist aber mit den Menschen, die in Schachteln sitzen, in denen einfach aus populistsichen Gründen alles mögliche zusammengeschmissen wird? Ich habe miterlebt, wie viele viele Menschen, mit unterschiedlichsten Nöten und Geschichten in eine Kiste geworfen worden sind. Auf dieser Schachtel stand vor ein paar Jahren „Asylbewerber“ oder „Flüchtlinge“. Sie war offen und wir haben uns bemüht jeden einzeln zu betrachten, seine Geschichte zu kennen, nicht vorschnell zu urteilen. Jetzt ist die Schachtel fest verschlossen und auf ihrem Deckel steht „Kriminelle Asylschmarotzer – Gefährder und Terroristen! Nicht öffnen! Nicht integrieren!“ Und man will diese Schachtel nicht einmal irgendwo verstauen. Man will sie lieber loswerden. Ins Meer schmeißen.

Wann ist das passiert? Wann haben wir aufgehört, die Menschen einzeln zu betrachen? Weil wir überfordert waren und sich unser Geist nach Ruhe gesehnt hat? Vielleicht. Vielleicht auch, weil Andere unsere Überforderung ausnutzen, um an die Macht zu kommen oder an der Macht zu bleiben. Sie machen uns Angst vor dieser riesigen, gefährlichen Kiste, in denen neben Kriminellen und Terroristen auch so viele Menschen sitzen, die da eigentlich gar nichts verloren haben. Und die kommen da so schnell auch nicht mehr raus (hier schließt sich über mir die Schachtel mit dem Etikett „Linksgrünversiffte Schwarzmalerei“).

Ich wünschte, ich könnte diese Schachteln alle öffnen. Und in meiner romantischen Vorstellung einen Batzen Liebe darüber ausgießen. Steckt mich ruhig in die Schachtel „naive Träumerin“ – aber Liebe ist die Sprache, die alle verstehen. Und davon bringt mich keiner ab.

Krater 2017

Die Monate sind vorbeigezogen und die heftigen Einschläge haben mich 2017 zum Glück verfehlt. Ich bin hier, meine Lieben sind hier, ich schreibe, ich spiele, ich arbeite, es geht mir gut. Hört ihr mich auf Holz klopfen? Denn wer möchte schon schlimme Einschläge in seinem Leben? Ich ganz sicher nicht.

Und doch habe ich einen Krater gefunden.

fehlt

Der Einschlag passierte Ende April. Ein Freund ist verschwunden und ich weiß nicht wohin. Er ist verschwunden, nachdem sie ihm gesagt haben, dass er in unserem Land nicht länger sein darf. Wir haben gekämpft und verloren. Er ist verschwunden, ohne Abschied.

Er fehlt mir.

Ich habe lange in diesen Krater geblickt und mich gefragt, ob und wie ich das in Worte packen kann. Aber ich möchte.

Denn ihr sollt auch von der Wut erfahren, die ganz tief unten im Krater brodelt. Wut, weil er nicht bleiben durfte. Und weil es außer ihm so viele Menschen gibt, die nicht bleiben dürfen und die in den Leben ihrer Begleiter Krater hinterlassen haben und hinterlassen werden. Sieht diese Menschen jemand? Haben sie dort, wo sie jetzt leben, jemanden gefunden, der sie sieht?

Ein Neujahrswunsch an euch, die ihr meinem kleinen Blog Aufmerksamkeit schenkt: Haltet die Augen offen. Bitte.

Habt vielen herzlichen Dank und ein kraterloses 2018.

To you, my dear friend: I hope you are safe and warm, wherever you are. May god bless you. Jarama for everything. Your big sister.