Ich habe einen schmerzenden blauen Fleck. An meiner Wirbelsäule. Genau da ganz oben an dem Wirbel der so raussteht, weil wir immer in dieser Fehlhaltung sind, vor dem Rechner und dem Handy. Der Wirbel, der so raussteht, wenn wir mit unserem Kopf schildkrötenartig in irgendeinen Bildschirm kriechen.
Ich könnte mir jetzt eine Erklärung einfallen lassen, wie „ich hatte bei der Hausarbeit einen Unfall“ oder „ich habe mich in der Arbeit an meinem Brennofen gestoßen“, aber nein, ich will ehrlich sein: Ich habe einen Purzelbaum gemacht. Auf Linoleumboden, Ohne Matte. Weil ich fit und jung und furchtlos wirken wollte. Das laute Krachen und die erschrockenen schnappenden Atmer der Umstehenden haben mir schon gesagt, dass das ein Fehler war – noch bevor der Schmerz einsetzte.
Ich ärgere mich. Ich war dumm. Das war unnötig. Ich hätte einfach sagen sollen: „Leute, ich bin wirklich zu alt für diesen Sch… Kram“ (sie sagte Kram, Kinder). Aber ich wollte nicht alt sein. Und ja, alles an diesem Text schreit: „Seht her! Ich bin in der Midlife-Crisis!“ Bin ich auch. Muss ich das vertuschen? Mir irgendwie schönreden? Und geht es dann vorbei?
Wisst ihr, was ich gemacht habe, bevor ich diesen Text geschrieben habe? Ich habe nach Studiengängen gesucht, für die ich mich einschreiben könnte. Ich habe mit schmerzendem Nacken und schildkrötenartig vorgerecktem Kopf nach „Zulassungsvoraussetzungen“ gesucht und mich gefragt, in welchem dieser vergessenen Papierstapel in unserem Büro mein Abiturzeugnis vergraben liegt. Das ist doch erbärmlich! Bin ich nicht schon zu alt für einen Bachelorstudiengang Soziale Arbeit (mit Schwerpunkt auf Musik und Bewegung)?
Bin ich nicht schon zu alt, alles, was ich mir aufgebaut habe, hinzuschmeißen? 10 Jahre Wolperdinge-Keramik in meiner kleinen Kleinstadt Kelheim. Jubiläum! Oder Ausverkauf wegen Geschäftsaufgabe? Ausverkauf wegen Midlife-Crisis? Last Order. Sonderrabatt.
Und wer mich kennt, der weiß, dass ich schon allen, die es wissen und nicht wissen wollten von meinen Überlegungen erzählt habe. Euch jetzt also auch. Im Worldwideweb. Es gehr also raus in die große Welt (jaja, in menen Träumen). Und die Reaktionen bisher waren ebenso geradlinig, wie die (wahrscheinlich) hormonellen Schwankungen, die sich mein Körper so einfallen lässt. Von „super, mach das“ über „echt jetzt?“ bis hin zu Lachanfällen war schon alles dabei. Und immer, wirklich immer ein Schulterzucken und ein „mei, das musst du selber wissen“. Und ich weiß es. Ich weiß, dass ich es selber wissen muss. Und selber entscheiden muss. Ich bin ja schon groß.
An dem letzten gemeinsamen Weihnachten, das ich mit meiner Schwester verbringen durfte, schenkte sie mir ein Zitat auf einer Karte. Die Karte liegt wahrschienlich mit dem Abiturzeugnis in einem dieser Papierstapel, aber ich habe mir den Spruch gemerkt. Das Zitat ist von Bettina von Arnim und beginnt mit „Finde dich“. Und dann weiter:

Für mich hat das immer bedeutet: Mach, was dein Herz dir sagt. Geh dahin, wo du glücklich bist.
Und mein Herz so: Keine Ahnung!
Und mein Kopf so: Ich weiß es doch auch nicht, Mensch!
Und dann: Purzelbaum.
Au. Aua!
Ich bin zu alt für diesen Sch… Kram (sie sagte Kram, Kinder). Oder doch nicht?