Warum soll ich da gleich nochmal hingehen?
Weil du eine Kelheimer Geschäftsfrau bist. Zeig dich. Triff wichige Leute. Rede mit ihnen. Knüpfe Kontakte. Das machen alle anderen da auch. Dafür sind solche Veranstaltungen da. „Fuß in der Tür“ – du weißt schon. Außerdem gibt es Essen und Trinken für lau. Als scheiß hier nicht rum und geh da hin.
Na dann los. Sekt trinken, Hände schütteln. Die des Kaminkehrers, der Kelheimer Festkönigin, des Bürgermeisters.
Vielen Dank für die Einladung.
Herzlich Willkommen zum Neujahrsempfang der Stadt Kelheim.
Siehst du, es sind doch mehr bekannte Gesicher, als du dachtest. Ganz schön viele bekannte Gesicher, ehrlich gesagt. Also los: Netzwerken, netzwerken, netzwerken!
Erst die Rede. Ob die wohl lange dauert? Ich hab Durst. Moment: Ist er sich bewusst, dass die Satzkombi: „Zwei große Hotels in Kelheim mussten schließen… Sie dienen momentan als Unterkunft für Flüchtlinge. Wir hoffen, dass das nicht so weitergeht.“ leicht missverstanden werden könnte?
Hat denn deine politisch korrkte, genderneutrale Gscheidhaferlgehirnwindung nie Pause? Mach dich mal locker.
Jaja, schon gut. Er hat ja auch gesagt, wir wären Schmuck. Ist ja auch ein Kompliment – irgendwie.
LOCKER machen!
Jahaa. Oh, Musik! Wie kommt man denn als Jugendlicher dazu, Tuba spielen zu lernen?
Jetzt mecker hier nicht rum, nur weil die Musik nicht dein Geschmack ist. Siehst du, die Frau da vorne, die wippt mit dem Fuß.
Ich mecker ja gar nicht. Ich sag nur: Tuba spielen als Jugendlicher – das erfordert Schneid! Und muss man eigentlich genau SO dasitzen, wenn man Klarinette spielt?
Das ist doch total egal, so lange man gut spielt. Und die spielen gut. Außerdem: Sei ruhig, die nächste Rede steht an.
Bist du sicher, dass das kein Liedtext von Dieter Bohlen ist? „Der Jugend gehört die Zukunft“. Ich hätte in Zukunft gerne was zu trinken. Und jetzt? Noch eine Rede. Ach was. Soll ich mich trauen und auf die Uhr schauen? Ich muss an meinen Papa denken. Der hatte solche Empfänge bis vor zwei Jahren noch am laufenden Band. Hoffentlich war er dabei nicht oft durstig.
Psssst! Jetzt kommt der lustige Teil.
Sicher. Aber ein Sketch ohne Schlusspointe endet eben ohne Lacher. Da können die da auf der Bühne noch so ambitioniert spielen. Kommt jetzt echt noch eine Rede? Ja. Und ein Interview mit Fußballern. Wem ist denn das eingefallen?
Beschwer dich nicht! Würdest du deinen walartigen Körper auch mal zu sportlichen Höchstleistungen antreiben, würdest du dich auch über eine Würdigung freuen.
Ja schon. Aber ich würde als Journalist nicht so ein Foto machen…
Bist du nun endlich still? Bestimmt ist es gleich aus.
Haahaa! Jetzt dauert es dir auch zu lang, was?
Ich höre dich nicht, ich höre dich nicht.
Nein! Die Dame da vorne kündigt noch jemanden an. Wer ist er? Ah, das ist… das Wort „Fatzke“ liegt mir auf der Zunge.
Du kennst den doch gar nicht! Vielleicht ist der ganz sympathisch. Außerdem hat er Geld! Er wird den Wittelsbacher Hof in Kelheim retten. Und er hat rote Schuhe und übersetzt das Wort „Lifestyle“ für uns biedere Kleinstädter ins Deutsche. Das ist doch nett!
Nett wäre, wenn er wissen würde, dass es in Kelheim weder einen Gasthof „zum Stern“noch „zur Glocke“ noch „zur Post“ gibt. Aber meinetwegen, alles Gute für seine Nachtclubpläne.
Typisch Kelheimerin. Mensch, sei doch mal offen für neue Ideen.
Boah, DAS sagst du nicht zu mir! Ui, jetzt ist es aus. Und die Band spielt „Thriller“.
Du kannst keinen Moonwalk, das weißt du, oder?
Schon gut. Ich verschwende meine Energie lieber in der Schlacht um die Getränke. Das ist jetzt wichtiger. Oh was für ein Glück – endlich sit.
Du bist anstrengend.
Du auch. Und jetzt?
Tu, wozu du hier bist! Netzwerken, netzwerken, netzwerken.
Okay, dann los. Wie macht man das?
Kontakte knüpfen.
Wie denn?
Smalltalk! Du meine Güte.
Wenn ich dich richtig verstanden habe, ist es jetzt Zeit für einen netten Ratsch. Und noch einen. Und noch einen. Schöne Veranstaltung hier. Oh, halb zwölf!