Was dauert denn da so lange?

Der Sommer ist da, die Corona-Infektionszahlen sind niedrig und die Leute haben wieder Lust auf nen Einkaufsbummel in der Altstadt. Was für ein Glück für mich! Hätte ich doch, ja hätte ich noch was zu verkaufen.

Doch doch, ich hab schon noch was. Aber die Auswahl an Tassen, Tellern und Schüsseln ist in den vergangenen Monaten arg geschrumpft. Das Schaufenster zieren immer noch Teller mit Herbstmuster – das kann jetzt bis Herbst auch so bleiben.

Die Tatsache, dass meine Ware langsam ausdünnt, liegt daran, dass ich dabei bin, meine Produktion umzustellen. „Während des Lockdowns geht das schonmal. Hab ja eh nicht geöffnet, kommen eh nicht so viele Kunden“ – dachte ich. War aber nicht so. Die Kunden kamen trotz Maskenpflicht und click and collect and meet and greet. Wieder großes Glück für mich!

Aber jetzt stehen da halt die neuen Glasuren und die Rohlinge aus neuem Ton. Und die wollen alle ausprobiert werden. Alle. Und dann muss es mir auch noch gefallen. Und dann muss es auch noch durch einige Tests.. Was soll ich sagen, ich bin mittendrin.

Und ich bin noch nicht zufrieden.

Es kann also noch dauern. Mein Laden füllt sich nur langsam. Ich baue auf eure Geduld. Es wird superschön, das verspreche ich!

Hautfarben

Da ist dieser Bekannte von mir – er ist verheiratet, hat drei Kinder, arbeitet als Handwerker und spielt unglaublich gerne Fußball.

Da ist dieser sehr gläubige Familienvater, der gerne Geschichten schreibt und mit mir Theater spielt.

Da ist dieser kluge, lustige, Kette rauchende Kellner.

Da ist dieser Straßenarbeiter mit dem nervigen Putzfimmel und einer glühenden Verehrung für Donald Trump.

Da ist dieser Ingenieur, der sensationell gut Musik macht und singt und an dessen Akzent man erkennt, dass er nicht in Niederbayern aufgewachsen ist.

Welche Hautfarbe haben sie?

Weiß, oder? Oder nicht?

Der Ehrlichkeit halber muss man sagen – es ist sehr wahrscheinlich, dass diese Männer fast alle weiß sind. Ich lebe in einer niederbayrischen Kleinstadt – nicht in einer multikulturellen Metropole. Hier sind Menschen mit dunkler Hautfarbe eine kleine Minderheit. Dementsprechend ist auch mein Bekanntenkreis überwiegend weiß.

Genau wie bei vielen anderen in meinem Umfeld sehe ich schwarze Menschen vor allem im Fernsehen, beim Profifußball, in der Politik oder ich höre ihre Musik – weit weg. Ohne Kontakt. Aber vorurteilsfrei.

Diese Freiheit von Vorurteilen lässt sich bei manchen aber schwer mit in den Alltag nehmen. Eben weil die Realität in der Kleinstadt eine andere ist. Dunkelhäutige Menschen sind selten. Selten ist anders. Anders ist… anders. Gegen diese Scheu vor dem Anderen lässt sich schwer was machen.

Und so kommt es zum Beispiel immer noch vor, dass Leute meinen, es sei doch gar nicht schlimm, wenn man in Bayern zu einem „N….“ eben „N….“ sagen würde. Das sei halt bei uns so. Wäre doch nicht böse gemeint.

Lasst mich an dieser Stelle ein für allemal klarstellen: NEIN.

Diese Leute würden Menschen mit Behinderung niemals als „Spasten“ bezeichnen, sie würden ihren türkischstämmigen Automechaniker niemals „Kanake“ nennen und über Frauen nicht pauschal als „Schlampen“ reden. Das wäre ja schließlich grob unhöflich. Aber „N….“ geht? Echt? „Das haben wir schon immer so gesagt“, „das ist ja nicht so schlimm“. Sitzt ja auch keiner mit am Tisch. Und man kennt auch keinen, bei dem man sich vorstellen müsste, wie er reagieren würde, säße er mit am Tisch. Und weil man in einer niederbayrischen Kleinstadt in einem ziemlich weißen Umfeld lebt, wird sich daran auch nicht so schnell etwas ändern.

20200605_091330Es ist nicht leicht Vorurteile abzubauen, wenn niemand da ist, der einem zeigt, dass die Vorurteile Bullshit sind. Der sich mit an den Tisch setzt.

Deshalb bleibt uns nur die Theorie. Lesen, Videos zum Thema ansehen, sowas eben. Und ein paar Grundsätze. Die heißen:

Es kommt nicht darauf an, wie jemand aussieht oder woher er kommt, sondern wie er ist. Deshalb verzichte ich auch darauf, euch zu sagen, welche Hautfarbe meine oben erwähnten Bekannten haben. Es ist schlicht egal.

Respektiert eure Mitmenschen.

Sad’s freindlich!

Let love rule.

#noracism

Sommerzeit – Netze spinnen

Der Sommer ist eine schöne Zeit. Eine Zeit, in der die Wochenenden gespickt sind mit tollen Veranstaltungen. Ob es nun ein kleines, regionales Rockfestival ist, eine Vernissage oder eine ganze Nacht voller Kunst und Kultur – ich bin gerne dabei. Aber heuer war es irgendwie anders. Ich hatte eine Mission. Denn ich dachte, es könnte nicht schlecht sein für mich als Geschäftsfrau mit all meinen Projekten, wenn ich etwas tat, was ich noch nie zuvor gemacht hatte: Netzwerken.

Netzwerken. Mit Leuten reden, die wichtig sind. Kontakte knüpfen, Adressen austauschen,  Spaß haben, Sektchen trinken, Bierchen schlürfen, mal schnell Hallo sagen, winwin, Dingsbums, solche Sachen eben.

Aber irgendwie bin ich dafür ungeeignet.

Die Abende liefen allesamt gleich ab. Ich kam, traf Freunde, wir unterhielten uns, tranken ein Bierchen… oder zwei… und erst als es ans Heimgehen ging, fiel mir mein Vorsatz ein. Dann war entweder die Hälfte der Leute mit denen ich dringend reden wollte schon verschwunden, oder ich traute mir (die einzwei Bierchen im Kopf)  eine eloquente Unterhaltung einfach nicht mehr zu. Nur sehr sehr selten machte ich zaghafte Netzwerkversuche – nur um mir dann die halbe Nacht lang den Kopf zu zerbrechen, ob ich nicht doch was Falsches gesagt hatte, mich blamiert hatte oder im schlimmsten Fall mein Gegenüber sogar gelangweilt hatte.

Es gibt Menschen in meinem Umfeld, die haben diese Netzwerkerei voll drauf. Die stellen mir zu jedem X-beliebigen Thema den richtigen Ansprechpartner vor. Sie machen mich bekannt – ich stammle, bin unsicher und schrotte es.

Netzwerken liegt außerhalb meiner Komfortzone. Ich habe mich hinausgewagt und die bahnbrechende Erkenntnis gewonnen, dass das nicht mein Ding ist. Oder dass ich es wirklich noch üben muss. Aber eigentlich will ich das gar nicht. Ich will das nicht üben. Ich will an lauen Sommerabenden auf Veranstaltungen gehen und mich mit Leuten unterhalten, die ich nett finde und die mich nett finden. Ich will mir nicht ständig Gedanken machen müssen, ob ich demjenigen schon zuviel, dem anderen dagegen viel zu wenig erzählt habe. Ich will mir nicht die halbe Nacht vorstellen müssen, was der- oder diejenige jetzt mit meinen Informationen anfängt und ob diese Informationen überhaupt interessant sind. Ich will nicht nachzählen müssen, in wieviele Fettnäpfchen ich getreten bin. Das ist alles anstrengend und unangenehm.

„Du trägst eben dein Herz auf der Zunge“, kommentierte neulich ein Freund von mir meine Netzwerkbemühungen. Mit einem milden Lächeln bescheinigte er mir damit meine Unfähigkeit.

Recht hat er. Ich trage mein Herz auf der Zunge. Jeder kann immer wissen, was mit mir los ist. Jeder kann immer und zu jeder Zeit wissen, wofür ich brenne. Kein Taktieren, keine Manipulation, keine Schleimerei. Nehmt mich so – oder lasst es. Das ist mein Vorsatz für den Herbst. Und den Winter. Und das Frühjahr. Und…

das ist doch echt kein Thema mehr

Bevor ihr weiterlest: Es ist mir völlig egal, wie ihr euch ernährt. Total. Fühlt euch frei zu essen, was auch immer ihr essen möchtet. Außer kleine Kinder – das würde ich dann doch eher nicht so gut finden. Aber im Endeffekt müsst ihr auch das für euch selbst entscheiden.

Ich habe für mich entschieden, dass ich versuchen möchte, vegetarisch zu leben. Und ich habe mir ehrlich nicht gedacht, dass das im Jahr 2019 überhaupt noch ein Thema ist. Ich habe Freunde, die sich vegetarisch oder vegan, gluten- laktose- oder zuckerfrei ernähren – wahrscheinlich viel mehr als ich weiß. Denn ich frage nicht jeden nach seinen Essgewohnheiten. Es ist also echt kein Aufreger mehr – dachte ich.

„Woran erkennst du einen Vegetarier? – Ganz einfach, er wird es dir erzählen“, lautet der gängige Spruch. Und ich habe das Klischee hiermit erfüllt. Tatsache ist, dass ich das aber gar nicht möchte. Nach 40 Tagen Fastenzeit ohne Fleisch, Fisch und Wurst habe ich ehrlich keinen Bock drauf zu sagen, dass ich mich als Vegetarierin versuche. Denn ich kann auf die dummen Sprüche (siehe oben) wirklich verzichten. Meine Freundin hatte mich vorab gewarnt: „Ständig wirst du blöd angeredet und muss dich rechtfertigen.“ „Kann ich mir nicht vorstellen“, habe ich geantwortet. Was soll ich sagen – sie hatte Recht. Wobei ich fairnesshalber auch sagen muss, dass ich schon massiv aufpassen muss, nicht vegetarisch-selbstgerecht zu werden. Ich sehe die Klippen und ich versuche sie zu umschiffen, so gut ich kann.

Margeriten

„Da! Frühstück!“

Es ist ein Krieg der Essreligionen. Und ich bin der Überläufer zu einer verfeindeten Splittergruppe. Und das Allerschlimmste: Ich versuche damit tatsächlich einer Überzeugung gerecht zu werden. Nachdem ich mich in einer Kabarettsendung zur Massentierhaltung so dermaßen wiedergefunden habe, dass ich mich vor dem Fernseher in Grund und Boden geschämt habe („…. aber sagen Sie, war das Schwein auch wirklich glücklich? Ich möchte nur Fleisch von glücklichen Tieren kaufen“), ist mir klar geworden: Du kannst nicht immer nur so öko daherreden. Du weißt, es geht besser – ohne viel Aufwand – dann mach es halt einfach. Basta. (Und wieder hier der Hinweis: Ich habe das für mich entschieden. Sonst nix. Und jaaaaa, ich weiß, dass „nur“ fleischlos auch nicht wirklich öko ist.)

Mein Mann mag kein Blaukraut. Mein Vater mag keinen Milchreis. Meine Kinder essen keinen Rosenkohl (die Liste wäre länger, würde aber das Thema total sprengen). Das geht für alle in Ordnung. Bei Familienessen oder im Restaurant ist das für niemanden ein Thema. Doch wenn ich in der Pizzeria eine „Vegetariana“ bestelle, kommt prompt ein: „Du bist aber keine Vegetarierin, oder?“ Als wäre das etwas höchst Unanständiges. Ja, hier in der Kleinstadt ist das wohl manchmal so (nur falls sich mitlesende Städter mittlerweile zum zwölften Mal fragen, wo denn verdammich nochmal das Problem ist). Die Speisekarten empfehlen hier für Vegetarier überwiegend „Käsespätzle“. Damit muss ich mich jetzt abfinden. Genauso, wie ich auf der Karte über das heißgeliebte Lendensteak hinweglesen muss. Ja, ich liebe Lendensteak mit Kräuterbutter. Ich wünschte, ich könnte sagen, ich mag kein Fleisch. Aber das stimmt nicht.

Vermutlich wäre das auch für mein Umfeld leichter. Dann müssten wir keinen heiligen Krieg führen. Und bevor ich rumlüge und sage, dass so eine Bolognesesoße einfach nicht nach meinem Geschmack ist, würde ich vorschlagen: Wir hören einfach auf mit dem Krieg. Ich esse, was ich esse und ihr esst, was ihr esst. Fleisch, kein Fleisch, nur Fleisch, mit Zucker, ohne Zucker, Laktosefructoseglucosewasauchimmer. Außer ihr wollt Kinder essen. Dann müssten wir vorher zumindest nochmal drüber reden. Peace.

 

Versifft

Zu seinen wilden Zeiten, fuhr mein Mann ein Auto, das über und über mit Aufklebern bedeckt war – an den Stellen, an denen man nicht nach draußen sehen musste, versteht sich. Es wird gemunkelt, dass dieses Auto nur durch diese Aufkleber zusammengehalten wurde – hätte man einen entfernt: Totalschaden. Aufkleber für den Zusammenhalt.

Mittlerweile fährt mein Mann ein unbeklebtes Auto – ist dabei aber selbstverständlich noch wild (hallo Schatz!) – dafür zieht etwas anderes Aufkleber, Flugblätter und Plakate magisch an: Mein Laden.

2014 kam das erste kleine Schild in die Tür. „Refugees welcome“ und „réfugiés sont bienvenus“ stand darauf (ersetzt durch ein „Kelheim ist bunt. Refugees are welcome“ vor einem Jahr). Hinzu kamen die welcome-Feder, ein Aufkleber der GRÜNEN, einer von ProAsyl und einer für Integration und Inklusion. Ein offener Brief mit dem Thema „Integration statt Abschiebung“ hängt über dem Plakat mit dem Aufruf zur Demo und im Schaufenster werbe ich um eine Spende für die Flüchtlingshilfe.

Derzeit ist mein Laden so vollgeklebt und vollgehangen, dass es selbt dem arglos vorbeieilenden Passanten sofort ins Gesicht springen muss: Das hier ist der Platz eines „linksgrünversifften Gutmenschen“. Tritt ein – woher du auch immer kommst – kauf Keramik oder Holzsachen ein und lass am besten auch noch ein paar Euro für die Flüchtlingshilfe da.

Ich finde das eigentlich ganz gut so. Doch neulich kam eine Kundin – zufälligerweise engagiert in der Flüchtlingshilfe Landshut – die mir zu so viel Mut gratulierte. „Wir brauchen das. Gerade jetzt, wo alles so auseinanderdriftet. Dass jemand Haltung zeigt“, meinte sie, bezahlte und ließ gleich noch eine Spende da. Mich ließ sie grübelnd zurück. Mutig?

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Mein Laden zeigt schon immer wie ich bin. Auch, dass ich in den vergangenen Jahren – sagen wir mal – extremer geworden bin. Die Rassisten, ja die konnten und können gerne draußen bleiben. Alle anderen stören sich ja nicht an meinem  „linksgrünversifften“ Ladenschmuck. Dachte ich. Aber ist das immer noch so? Auch ich merke, wie alles auseinanderdriftet. „They will shoot you“, warnte mich vor Kurzem ein Bekannter mit Blick auf mein „Kelheim ist bunt“-Schildchen. Erschießen? Was? Näh. „Du weißt schon, dass da einige Leute bei dir nicht mehr kaufen werden?“, fragte mein wilder Mann. Und immer öfter höre ich durch meine dünnen Schaufensterscheiben: „Refjutschis wellkamm – so a Schmarrn!“

Was ist denn los? Ist es denn nicht mehr normal, sich gegen Rassismus auszuprechen? Und für Flüchtlingshilfe? Ist das tatsächlich extrem links? Und muss man dieses „links“ meiden?

Fakt ist, im Gegensatz zu den Aufklebern auf dem Auto meines Mannes, halten die in meinem Laden nichts zusammen. Vielleicht spalten sie ja sogar. Vielleicht trennen sie die einen von den anderen. Aber wen von wem?

Meines Erachtens sollten – so wie es gerade überall geschieht (Helene Fischer, chapeau!) – viele viele Menschen, bei allen möglichen Gelegenheiten öffentlich ausdrücken (laut, sehr laut), dass es selbstverständlich ist, kein Rassist zu sein. Dass die Mitte der Gesellschaft nicht rassistisch ist. Dass die Mitte ein friedliches Zusammenleben will, in einem demokratischen Europa. Dass ein „refugees-welcome“ immer noch gilt. Und dass man mit einem derartigen Aufkleber nicht linksversifft ist, sondern einfach nur – keine Ahnung – ein Teil dieser Mehrheit.

In meinem Laden liegen übrigens seit heute „Kein Kreuz der AfD“-Flyer der Initiative gegen Rechts Regensburg. Vermutlich brauche ich sie für meine Kunden nicht. Wer trotz oder gerade wegen meiner Aufkleber in meinen Laden kommt, der wählt die sowieso nicht.Aufkleber5

#wirsindmehr #bloggerfuerfluechtlinge #bayernbleibtbunt

 

Schwer entflammbar

Der Satz, den absolut keine Rockband zum Publikum sagen will ist: „Kommt doch alle mal ein Stück weiter nach vorne.“ Ich weiß nicht, ob das anderswo auch gesagt wird – in der Kleinstadt meiner Wahl ist das bei jedem Rockkonzert so. Bei wirklich jedem. In diesem Satz liegt so viel Verzweiflung, dass ich aus lauter Mitleid schon einen Hopser nach vorne machen will – ganz unabhängig davon, ob mir die Musik dieser Band gefällt. Meistens mache ich es aber wie alle anderen Konzertbesucher und bleibe stehen. Hier in der Kleinstadt lassen wir uns nicht so schnell um den Finger wickeln, denke ich und habe gleich darauf noch ein wenig mehr Mitleid.

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Blackout Problems auf dem JUKUU in Kelheim

Uns Niederbayern sagt man ohnehin schon eine grantige, schweigsame (Gerücht!), Distanziertheit nach. In diesem speziellen Städtchen kommt noch eine gehörige Portion Skepsis und Trägheit hinzu. Erst einmal schauen. Nicht gleich alles gut finden. Wir sind schwer entflammbar und eine echte Herausforderung für alle, die auf der Bühne stehen und uns ihr Bestes geben: Ihre Leidenschaft für die Musik, ihre Gedanken in ihren Texten – keinen Fehler machen, Lampenfieber, Freiheit.

So geht es auch mir, wenn ich Theater spiele oder – aktuell – ein Theaterstück inszeniere. IMG-20180502-WA0003Wir arbeiten hart, geben unser Bestes und hoffen inständig, dass es ankommt, dass wir das Publikum erreichen, dass sie mitgehen, dass wir sie bewegen. Und wir sind uns niemals sicher, dass wir das auch schaffen.

Und während ich so auf dem Rockfestival in meiner niederbayrischen Heimatstadt stehe und die nächste Band sagen höre: „Hier vor der Bühne ist noch so viel Platz! Wie wäre es, wenn ihr jetzt alle mal einen Schritt nach vorne macht?“, sehe ich mir das Publikum genauer an. Sie lachen, sie wippen sachte mit, sie nippen an ihrem Bier und nicken zustimmend. Ein niederbayrischer Code für: Nicht schlecht. Ganz gut sogar. Es gefällt. Auch wenn das Publikum eher innerlich feiert – es feiert. Um der Leute Willen, die sich auf der Bühne leidenschaftlich abrackern, könnten wir das aber ruhig auch mal ein bisschen deutlicher machen. Burn mother%$§!?&, burn!

Eine Stunde an diesem Ort

Da stand ich nun, blickte auf den Waldmeister zu meinen Füßen und fragte mich, ob es pietätlos wäre, hinterher ein paar Stängel für das Schulprojekt meiner Tochter mitzunehmen. Gleich darauf rief ich mich zur Ordnung. Ich war nicht hier, um Waldmeister zu pflücken. Ich war hier – an der sogenannten „Verbrennungsstelle“ des ehemaligen Konzentrationslagers Saal an der Donau – um an einer Gedenkveranstaltung teilzunehmen. Es war mir wichtig gewesen, herzukommen. Mein Theaterstück „Kartoffelkathi“ basiert auf einer Geschichte, die sich zur Zeit dieser schrecklichen Ereignisse in Saal abgespielt haben soll. Irgendwie fand ich, ich wäre es schuldig mich zumindest auf der Gedenkveranstaltung anlässlich des Jahrestags der Lagerbefreiung einzufinden. Schuldig, wem auch immer.

Musik. Briefe von Zeitzeugen. Musik. Briefe von ehemaligen Häftlingen. Musik. Eine kurze Ansprache eines Überlebenden. Musik. Die Enthüllung einer Gedenktafel. Musik. Stimmungsvoll, berührend, beklemmend. Dabei war es nichts, was ich noch nie gehört hätte. Ich hatte schließlich Geschichtsunterricht gehabt, ich kenne Filme, Bücher und Fernsehdokumentationen zu diesem Thema. Ich habe für mein Theaterstück ein wenig recherchiert. Aber da zu sein, an solch einem grausigen Ort und die Worte direkt Betroffener zu hören, war noch einmal etwas ganz anderes. Was würde ich also mitnehmen von so einer Gedenkveranstaltung? Würde ich überhaupt etwas mitnehmen?

Ich sah ihn mir an, den Überlebenden der gekommen war, um uns noch einmal seine Geschichte zu erzählen. 93 Jahre alt, die Stimme leise und sanft. Wieder glitten meine Gedanken ab. Zurück zum Waldmeister auf dem Boden. An den Beinen der Zuhörer hoch, auf ihre sonnenbeschienenen, grauen Häupter. Es waren viele ältere Menschen gekommen.

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KZ-Gedenkweg an der Teugner Straße in Saal a.d. Donau

Zu spät, dachte ich mir plötzlich. Es ist zu spät. Die Zeitzeugen werden immer weniger. In ein paar Jahren wir niemand mehr da sein, der uns seine Geschichte erzählen könnte. Was dann? Werden dann Geschichtsbücher und Fernsehdokumentationen ausreichen müssen? Unpersönlich und weit weg?

Mit einem Mal begriff ich, dass auch ich mich zuständig fühlen sollte. Dass ich nicht länger diejenige sein sollte, die sich die Geschichten nur anhört, die sich mahnen lässt. Ich sollte diese Geschichten vielmehr weitererzählen. Damit auch meine Kinder begreifen, wie weit es kommen kann, wenn man die Zeichen nicht sieht. Mit Sicherheit ist das nicht annähernd so beeindruckend, wie die Geschichten von Zeitzeugen selbst zu hören – aber besser als nichts.

Das also habe ich mitgenommen von dieser einen Stunde an einem bedrückenden Ort am Rande meines Heimatdorfes. Das – und dann doch ein paar Stängel Waldmeister.

Wo ich gewesen sein sollte

Du weißt gar nichts, Christine Stark.

Eine gemütliche Feier, leckeres Essen, interessante Themen – die Leute, die mit mir am Tisch saßen, redeten gerade über Israel, als mich dieses Gefühl beschlich. Sie redeten wenig über israelische Politik, mehr über Städte, Landschaften und persönliche Erlebnisse. Es klang toll – nach einem Ort, an dem man mal gewesen sein sollte. Ich war da noch nie. Noch nie in Israel, noch nie in Florida, noch nie in Peru, Australien, Marokko oder sonst irgendeinem anderen Land außerhalb Europas. Dabei sagt mir mein Internet doch beinahe jeden Tag: 

Travel

„Wir reisen, weil wir es müssen, denn Abstand und Unterschied sind das geheime Elixier unserer Kreativität. Wenn wir nach Hause kommen, ist es da noch immer gleich, aber etwas in unserem Kopf hat sich verändert, und das ändert alles.“ – so die ungefähre Übersetzung eines immer präsenten Reise-sonst-lebst-du-nicht-Spruchs

Ich hatte das Gefühl nichts zu wissen, bis auf eins: Immer wenn mich solche Gedanken beschäftigen, ist die Sinnkrise nicht mehr weit. Sie kommt wahrscheinlich pünktlich zu meinem 40. Geburtstag, dachte ich. So wie sie vergangenes Jahr kurz vor meinem 20-jährigen Abitreffen kam. Schlagartig war ich mir damals sicher, nichts zu wissen, nichts zu können und schon gar nichts erreicht zu haben. Schließlich waren so viele aus meinem Abschlussjahrgang Ingenieure, Ärzte und/oder hatten bereits die halbe Welt bereist. Ich war nur die Keramikerin mit Hang zum Amateurtheater, die kaum über ihren Kleinstadthorizont hinausschauen kann.

Kein Wunder also, dass ich vor dem Klassentreffen ähnlich viel Bammel hatte wie vor meinem 40. Geburtstag. Und beide Male passierte etwas, mit dem ich nicht gerechnet hatte: Ich hatte das Gefühl, genau da zu sein, wo ich sein sollte.

Obwohl ich meine ehemaligen Klassenkameraden bewunderte für das was sie machten, wo und wie sie lebten und was sie alles draufhatten, hätte ich um gar nichts in der Welt mit ihnen tauschen mögen. Meine Familie, meine Freunde, meine Kreativität und meine Leidenschaften – für nichts in der Welt gäbe ich sie her! (Schon gar nicht nach so einem rauschenden, tollen Fest zu meinem 40.) Auch wenn das bedeutet, dass ich nicht die ganze Welt bereise und ein fürchterlich eingeschränktes Kleinstadtgewächs bleibe. Na gut, nach Israel könnte ich wirklich mal. Oder nach Marokko. Oder nach Portugal. Naja, vielleicht Frankreich. Österreich? Ach komm, der Bayrische Wald tut’s auch. Erstmal bin ich genau hier richtig, wo ich gerade bin. Das weiß ich zumindest.

Wir bauen für Sie…

Wer momentan in der Kleinstadt meiner Wahl unterwegs ist, weiß was ich meine und bekommt bereits von der Überschrift Tobsuchtsanfälle oder Heulkrämpfe – oft auch beides. Wie man das hinkriegt? Ganz einfach. Mit Baustellen. Zweidreivierfünf werden’s in und um Kelheim schon sein. Und da, wie anderswo bereits erwähnt, der Kleinstädter ansich lieber Auto statt Radl fährt, kommt, was kommen muss: Das totale Verkehrschaos.

Verkehrsstaus, wohin man auch abbiegt, wild plärrende Lastwagenfahrer (deren Navi vor Verzweiflung selbstständig aus dem Führerhaus gehüpft ist), verschreckte Radfahrer (weil auf die ja jetzt wirklich niemand mehr Rücksicht nehmen kann), Einzelhändler mit panischer Angst vor Umsatzeinbußen, chaotische Busfahrpläne (falls vorhanden) und entsetzlich blanke Nerven überall.

Nach anfänglicher Überforderung, zwischenzeitlichen Wutausbrüchen und überstandener Verzweiflung, übe ich persönlich mich mittlerweile in zweckoptimistischer Selbsttherapie.

Denn eigentlich ist so eine Baustelle ja eine Verbesserung, eine Reparatur. Wie bei einem selbst eben auch. Meine Güte, in meinem Leben gibt es momentan so viele Baustellen. So viele Reparaturarbeiten, so viele neue Projekte.

Ja, wenn’s viele Baustellen sind, kommt’s anderswo zum Stau. Zu Fertiggerichten, verschluderten Emails und Freunden in der Warteschleife.

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Natürlich kann man nicht überall gleichzeitig mit Hochdruck arbeiten, denke ich, wenn ich die bauarbeiterlosen, stummen Maschinen sehe. Das kann ich schließlich bei meinen Baustellen auch nicht. Ich kann nicht gleichzeitig ein Theaterstück inszenieren und ein neues Buch schreiben. Alles nacheinander.

Selbstverständlich kann es mal zu Verzögerungen kommen. Nicht alles ist zum angesetzten Termin fertig. Das ist auch auf meinen Baustellen so. Mein Mittagessen kommt selten pünktlich auf den Tisch und die getöpferten Adventskränze stehen manchmal erst zum zweiten Advent im Schaufenster – ab und zu  ist man eben faul. Was solls?

Und schließlich will man ja ein schönes Ergebnis. Eine schöne neue Asphaltdecke, schnelles Internet oder einen knackigen Po in den neuen Jeans. Das macht sich eben nicht von allein.

Ich übe mich in Verständnis. Meine Stadt und ich – wir verstehen uns. Mi Baustelle es su Baustelle.

Aber ehrlich: Das Üben bringt nichts. Rein gar nichts. Zweckoptimismus ist einfach nicht mein Ding. Also KOMMT IN DIE GÄNGE UND MACHT DAS FERTIG! UND ZWAR PRONTO! Sonst….. AAAAAARGH!

Fahrraddilemma

Wann immer es im Sommer nicht regnet, stürmt, bewölkt oder zu heiß ist, bilde ich mir gerne ein, die geborene Fahrradfahrerin zu sein. Autofahren ist dann was für ignorante Weicheier – ich bin mit dem Radl da! Einkäufe erledigen? Zur Arbeit fahren? – mach ich mit dem linken Oberschenkelmuskel, Baby!

Rad1

Noch Parkplätze frei

Und dabei ist es noch so schön romantisch. Denn obwohl ich in Funktionsjacke und Radlhelm nicht so aussehe – in meiner Vorstellung wallt mein blumengeschmücktes Haar im Sommerwind und mein Hippiekleid flattert mir um die Beine (und gerät selbstverständlich weder in die Kette noch in die Speichen vom Hinterrad). Ach, es könnte alles so schön sein – wäre die Sportstadt Kelheim (das hab nicht ich erfunden, Leute!), die Heimat eines Vereins mit dem Namen Run&Bike, die so malerisch am Donauradweg liegt nicht eine Autofahrerstadt. Ja, so ist das.

 

Entnervtes Hupen hinter mir im Kreisverkehr (wo soll ich denn hin?), entwürdigende Regeln für linksabbiegende Radfahrer (absteigen und mit dem Rad zweimal an Fußgängerampeln auf Grün warten), oder mitten auf dem Radweg abgestellte Baustellenschilder sind nur ein paar Beispiele,

Rad2

Engstelle

wie meine Freude am schwungvollen Dahinradeln jeden Morgen abrupt ausgebremst wird. Ganz abgesehen davon natürlich, dass es nicht mal für Touristen einen bequemen Radweg mitten in die Innenstadt gibt (hier spricht aus mir die Ladenbesitzerin, die durchaus mal dezent darauf hinweisen will, dass es schon Möglichkeiten gäbe, potenzielle Käufer in die Stadt zu lotsen… nur mal dezent angemerkt).

Und während ich mein Rad pflichtbewusst (und nur für diesen Blogbeitrag) die Fußgängerbrücke hinaufschiebe, denke ich mit Wehmut an meinen Wochenendtrip nach Amsterdam – der Stadt, in der die Radfahrer das Sagen haben. Gut, es war stellenweise echt nicht lustig und für Fußgänger lebensgefährlich…

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Amsterdam

aber die Radlfahrer dort fahren mit einem Selbstverständnis, das beneidenswert ist. Breite Radwege, Vorfahrt – und es ist einfach total flach. Ginge nicht ein bisschen was davon auch hier in der niederbayrischen Kleinstadt? Breitere Radwege vielleicht, auf denen nicht alle paar Meter ein Auto parkt? Oder ordentliche Verbindungen in die Stadt? Abbiegespuren an Kreuzungen? Seufz…

Für die nachmittägliche Fahrt zur Arbeit nehme ich dann doch lieber das Auto. Ich muss Material transportieren und außerdem sieht es nach Regen aus (es ist auf alle Fälle total unumgänglich). Ich komme keine hundert Meter weit, da trete ich das erste Mal massiv auf die Bremse. Radfahrer vor mir. Rennradfahrer. In der Gruppe. In Fahrradpelle. Mitten auf der Straße. „Wozu gibt’s einen Radweg, ihr Idioten!“, schreie ich entnervt. Das geht nicht. Das geht echt nicht. Meine Stadt gehört den Autofahrern. Und so wird es immer sein.