„Eine Phantasie hat das Kind!“, hat meine Mama oft über mich gesagt. Manchmal bewundernd, wenn ich ein Bild gemalt oder eine Geschichte erfunden habe, manchmal aber auch resigniert, wenn die Angst vor Monstern unter meinem Bett mich nachts nicht einschlafen ließ. Würde sie es jetzt über mich sagen, ich nähme es wohl als Kompliment. Meine Phantasie ist eine der Triebfedern meiner Arbeit. Ich brauche sie. Ich bin froh, dass sie da ist.
Doch immer wieder kommt es vor, dass sie nicht ausreicht, dass mich meine Vorstellungskraft im Stich lässt. Und vielleicht ist das ganz gut so. Denn manche Geschichten sind einfach zu schlimm oder zu unglaublich für mich. Da kann ich mir mit meinem doch gehörigen Maß an Phantasie noch nicht einmal annähernd vorstellen, wie es gewesen sein muss.
Ich habe einige Geschichten gehört. Geschichten von Menschen auf der Flucht. Auf der Flucht vor Krieg, vor Hunger, Diskriminierung und Not. Diese Menschen haben mir von ihrer Heimat erzählt. Von schönen Stränden, wilden Tieren, von der Familie und den Freunden. Auch von den Schattenseiten. Von Hunger, Krieg und Perspektivlosigkeit. Und von der Flucht. Wankende Schiffe auf dem Mittelmeer. Hohe Wellen. Todesangst. Menschen, die gestorben sind an Entkräftung und Durst. Gebete. Schreie.
Solche Geschichten lassen einen nicht kalt. Und sie haben mich auch nicht losgelassen. Nachts konnte ich nicht einschlafen. Unter meinem Bett haben sich die Wellen aufgetürmt, ich habe Schreie gehört und Menschen, die ins Wasser fallen. Ich bin sicher – nicht einmal annähernd hat meine Phantasie die Realität gestreift. „Du nimmst dir das alles viel zu sehr zu Herzen.“, hat meine Mama gemeint. Wahrscheinlich hatte sie Recht. Wie so oft.
Einige Zeit ist nichts passiert. Gar nichts. Ich konnte bald wieder gut einschlafen, träumte nicht mehr von schwankenden Booten. Dann, eines Tages, haben meine Hände aus einem Klumpen Ton ein Schiff geformt. Und noch eins. Und noch ein größeres. Und noch eins. Sieben Schiffe, bis ich zufrieden war. „Die schwimmen aber nicht, Mama. Die haben Löcher.“, hat eines meiner Kinder festgestellt. „Nein, die schwimmen nicht.“, war meine Antwort.
Gestern nun habe ich diese sieben Schiffe dem Feuer übergeben. Bei einem Rauchbrand in einer Tonne. Das Ziel war, sie noch schäbiger, noch löchriger aussehen zu lassen. Herausgekommen sind Wracks, Schiffe, auf die sich niemand wagen würde, der noch ganz bei Trost ist. Außer er ist verzweifelt genug.
Einige dieser Schiffe präsentiere ich Ende August bei einer regionalen Kunstausstellung. Ich bin gespannt, was sie auslösen. Ob sie überhaupt etwas auslösen. Aber eigentlich ist das egal. Ich sehe diese Schiffe an und denke an die Menschen, die mir einen kleinen Einblick in ihr Leben gestattet haben.
This is for the guys who allowed me to listen to some of their stories. Thank you. You all deserve freedom, you deserve peace. Keep going on. Stay strong. God bless you.
#bloggerfuerfluechtlinge