„Nur die Russen haben Vorurteile!“

Ich habe einen weiblichen Körper, identifiziere mich als Frau und steh‘ auf Männer.

Ja. Und? Wieso sag ich das? Stimmt, das muss ich gar nicht. Das bekommt ja jeder irgendwie mit. Wenn ich im Badenazug mit meinem Mann händchenhaltend durchs Freibad laufe, zum Beispiel. Wenn ich anderen Menschen von meinen Urlaubsplänen mit der Familie erzähle, oder mit Freundinnen Serien mit wilden Highlandern… äh… ansehe.

Ich habe eine Weile gebraucht, um herauszufinden, dass das alles Outings sind. Also wäre ich zum Beispiel homosexuell und würde mit meiner Freundin händchenhaltend durchs Freibad laufen: Die Menschen um mich herum würden das als Outing betrachten. Oder darauf warten, dass ich es bestätige. Oder mich dafür ablehnen. Oder und.

Und manchmal kämen dann Kommentare wie: „Mir ist es ja egal, was und mit wem die es treibt. Aber das ist doch ne Privatsache. Die soll das mal nicht so vor sich hertragen. Muss sie ja nicht jedem ungefragt aufs Auge drücken, was sie ist.“

Als oben beschriebene cis-Frau (ich denke, das ist der korrekte Ausdruck – aber es gibt noch viel für mich zu lernen) kenne ich solche Sprüche nur aus dem Internet. Ich musste sie mir nie live ahören und sie bezogen sich nie auf mich. Aber ich weiß, dass es Menschen gibt, die so etwas aushalten müssen. Oder die aus Angst davor, so etwas aushalten zu müssen, sich gar nicht erst trauen, sich so zu zeigen, wie sie sind.

„Naja, aber das ist doch nicht mehr so. Wir sind doch tolerant.“ Ja, das stimmt schon irgendwie. Glaube ich. Da kann ich nicht mitreden, weil es mich (siehe oben) nicht, oder als Frau im Verhältnis nur kaum betrifft. Aber wo ich mitreden kann ist, dass ich wahrnehme, wie mein Umfeld immer noch mit Vorurteilen kämpft.

Der Schwule trägt gerne die Hand im „Teekännchen“ und bespringt alles Männliche, das nicht bei 3 aufm Baum ist.

Lesben sind Mannweiber mit Kurzhaarschnitt. Kampflesben eben.

Transmenschen sind psychisch gestört.

Asexuelle Menschen müssen nur mal richtig… äh, den/die Richtige/n finden.

Der sieht aber gar nicht männlich aus. Der ist bestimmt homo.

An der ist aber auch ein Junge verlorengegangen.

Lauf nicht so schwul! Biste behindert? Warum wirfst du wie ein Mädchen?

Neulich habe ich in einer Doku über Rassismus den Satz gehört: „Wir haben alle unsere Vorurteile. Wir sind damit aufgewachsen. Wichtig ist nur, zu entscheiden, welche Vorurteile wir behalten wollen und welche wir loswerden müssen.“

Und sofort hatte ich Moop Mama im Kopf: „Ich? Ich habe keine Vorurteile! Nur die Russen haben Vorurteile!“

Und die Ungarn, die natürlich auch.

Ich habe mir gestern aus alten T-Shirts eine Regenbogenfahne genäht. Ein bisschen aus Aktionismus, ehrlich gesagt. Aber auch weil ich es wichtig finde, zu zeigen, dass unsere Familie solidarisch ist mit Menschen, die sich, sobald sie sich outen, mit Diskriminierung herumschlagen müssen. Immer noch. Weil, wenn schon die UEFA… ach lassen wir das. Die Jugendlichen in meinem Haushalt haben mich für die Fahne gefeiert (ehrlich, die sind stolz auch mich. Haaach!). Und gemeinsam mit meinem Mann habe ich sie gestern vor’s Haus gehängt. Also die Fahne, nicht die Jugendlichen.

„Schau mal!“, hab ich eine Nachbarin zu ihrer Begleitung sagen hören „Das mach ich jetzt auch gleich. Ich häng unsere Regenbogenfahne auch gleich raus.“ Mein Mann und ich haben uns angegrinst und er hat mir die Worte aus dem Mund genommen: „Hättest du gedacht, dass DIE ne Regenbogenfahne hat? Die sieht gar nicht so aus…“

Nur die Russen haben Vorurteile, nicht wahr?

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